News+Stories: Woher kam die Idee zum Diplomarbeitsthema?
Patrick: Amnesty International hat im Sommer 2015 einen Bericht veröffentlicht, dass die Zustände in Traiskirchen katastrophal waren. Angesichts der Flüchtlingssituation war für uns die Notwendigkeit einen Beitrag zu leisten offensichtlich. Es kann nicht sein, dass im 21. Jahrhundert Menschen in unserem Land – in einem der reichsten Länder Europas – teilweise monatelang unter freiem Himmel schlafen müssen.Gab es Kontakt zu Hilfsorganisationen?
Robert: Wir haben uns zum Beispiel mit der Caritas getroffen und ihre Flüchtlingsunterkünfte in Graz besucht. Und wir haben uns in Dresden ein paar Objekte angeschaut. Vor allem haben wir auch mit den Betreuenden und den Flüchtlingen selbst gesprochen, um zu erfahren, wie sie die Situation empfinden. Das war der Ausgangspunkt für unsere Planungen.Patrick: Man muss dazu sagen, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Langzeitunterbringung wie wir sie jetzt zum Beispiel in Graz haben, und einem Erstaufnahmezentrum wie in Traiskirchen. Unser Thema ist die Erstaufnahme.
Robert: In Gesprächen haben wir herausgefunden, dass 4 Personen auf eine Wohneinheit eine optimale Größe ist. Ich habe auch Leute getroffen, die zu zehnt in irgendwelchen Unterkünften eingepfercht sind. Und wenn 10 Personen aus unterschiedlichen Nationen mit teilweise traumatischen Erfahrungen im Hintergrund auf engstem Raum zusammen leben müssen, gibt es einfach Probleme.
War es schwierig, den Prototypen finanziert zu bekommen?
Robert: Das Thema Flüchtlinge wird sehr kontrovers diskutiert und wir hatten das Gefühl, dass sich die meisten Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft damit nicht identifizieren wollten. Wenn wir auf potentielle Sponsoren zugegangen sind, haben wir das Projekt eigentlich immer als den Flüchtlings-Shelter kommuniziert und festgestellt: Das interessiert eigentlich niemanden. Hätten wir gleich gesagt, wir machen innovatives Bauen aus Karton statt Notunterkünfte – was am Ende dasselbe ist – wären wir wahrscheinlich viel schneller zum Ziel gekommen.Patrick: Da spielt natürlich auch eine Rolle, dass man dem Material nicht vertraut. Auch Studienkolleginnen und –kollegen belächelten anfangs unser Häuschen aus Pappe. Zwischendurch haben wir selbst an uns gezweifelt. Es ist ein Riesenexperiment. Aber seit die Leute mit anpacken und die Dreiecks-Module, aus denen unser Shelter besteht, in der Hand haben, stellen sie fest, dass eine super Stabilität da ist. Und wir merken, dass plötzlich dieser Gesinnungswandel da ist: O.k., das ist wirklich geil, was ihr da macht.
Wie kann man sich die Module vorstellen und wie wird daraus ein Haus?
Patrick: Die einzelnen Kartonteile haben wir in den letzten Wochen am Schneidplotter im Kartonwerk von DS Smith in Kalsdorf hergestellt. Als wir das erste Mal dort waren, kam der wertvolle Input, Karton nicht wie einen herkömmlichen Baustoff als Platte zu verwenden, sondern wie bei der japanischen Papierfalttechnik Origami dreidimensional zu formen. DS Smith hat uns das Material gesponsert und uns am Schneidplotter maschinell fertigen lassen. Auch die Rillungen und Falze macht die Maschine. Wir stehen dann nur noch da und falten zusammen wie bei einem riesengroßen Bausatz. Dann geht es ans Zusammenstecken. Es ist leichter, als wenn man sich beim Baumarkt eine Gartenlaube bestellt (lacht). Die einzelnen Module könnte eine schmächtige Person heben und bewegen – auch mit dem Dämmmaterial drin wiegt das alles nicht viel. Robert: Was wir für den Prototypen am Schneidplotter gemacht haben, würde in der Serienfertigung anders aussehen. Für jede Schablone, die man braucht, müssten Stanzformen produziert werden. In ein paar Minuten ist dann ein kompletter Shelter produziert. Wir haben uns im Werk angeschaut, in welcher Geschwindigkeit Karton hergestellt wird. Da fliegen wirklich auf dem Fließband die Kartone vorbei. In einer Extremsituation kann ich mit unserem System sehr rasch reagieren.Wie schnell wären Produktion und Aufbau eines Shelter im Notfall möglich?
Patrick: Wir haben etwa 250 Einzelteile. Diese setzen sich aus Wand-, Fenster, Füll-, Eck- und Dachmodulen zusammen. Insgesamt sind das etwa 280 Platten. Zu zweit schafft man 10 bis 15 Stück in der Stunde. Vorher müssten natürlich die Stanzformen gebaut werden.Robert: Wie lange die Produktion dauern würde, ist für uns noch schwer abschätzbar. Aber wir haben bei den Größen der einzelnen Formate darauf geachtet, dass jedes Werk weltweit sie herstellen könnte. Dass wir keine Sonderformate und Riesenbreiten haben, die nur im Hightech-Europa funktionieren. Stanzformen baut man im Notfall relativ schnell. Und dann könnten vor Ort innerhalb kürzester Zeit tausende Shelter produziert werden.
Was unterscheidet „arcCard shelter2.0“ von anderen Notbehausungen?
Patrick: „arcCard shelter2.0“ erfordert in einer Krisensituation so gut wie keine Logistik für Unterkünfte, ich habe nur die Herstellungskosten. Die sind sehr niedrig, weil wir nicht auf Haltbarkeit sondern auf kurze Lauf- und Amortisationszeiten und Flexibilität setzen.Robert: Unser Shelter kann im betroffenen Land produziert werden und wäre dann nur noch die restlichen Kilometer in das gewünschte Gebiet zu transportieren. Wenn wir den Prototypen noch weiter entwickeln, könnte ich die Unterkünfte einfach stehen lassen und sie verwittern mit Wind und Regen. Karton und Pappen sind generell 7 Mal recyclebar. Sogar die Wetterschutzfolie um den Karton könnte aus biologisch abbaubarem Kunststoff hergestellt werden.
Patrick: Ich glaube das, was teuer ist, ist die Logistik. Wenn ich als deutsches Rotes Kreuz Notunterkünfte erst nach Sumatra verschiffen muss, dann braucht es erst mal 3 Wochen, bis die ankommen. Das haben wir alles nicht. Wir senden Bauanleitungen und Leute, die vor Ort beim Aufbau helfen. Wir sagen: Es geht los. Übermorgen sind wir da.