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Ein Studium ohne Barrieren

03.05.2017 | Face to face

Von Birgit Baustädter

Diana Klemen ist blind, Thomas Stamer hat Legasthenie. Sie stehen für viele Studierende mit speziellen Bedürfnissen, die erfolgreich an der TU Graz studieren.

Diana Klemen, Thomas Stamer und ein Studienkollege in der "Alten Technik".

Diana Klemen

Diana Klemen nippt an ihrem doppelten Espresso im beliebten Kaffeehaus gleich neben der TU Graz-Hauptbibliothek in der Technikerstraße. Eigentlich studiert sie hauptsächlich am Campus Inffeldgasse, hat sich für das Interview aber auf den Weg gemacht. „Wo ich oft unterwegs bin, dort kenne ich mich gut aus. Ansonsten frage ich mich einfach durch oder verlasse mich auf mein sprachgesteuertes NAVI am Handy“, erzählt die Studentin, die von Geburt an blind ist und im dritten Semester Lehramt Informatik studiert.  

News+Stories: Ursprünglich haben Sie klassische Informatik studiert. Wie kam es zu dem Wechsel?

Diana Klemen: Ich wollte immer schon etwas mit Menschen machen und nicht als Programmiererin enden (lacht). Ich wusste aber lange nicht, ob ich das als blinde Frau auch machen kann.  
Diana Klemen studiert im dritten Semester Lehramt Informatik.

Was hat ihre Entscheidung bestärkt?

Diana Klemen: In der Lehramtsausbildung hat sich in den vergangenen Jahren einiges geändert. Zum Beispiel finden die Berufspraktika jetzt sehr viel früher statt und ich kann sehr schnell herausfinden, ob es überhaupt funktionieren kann, im Klassenzimmer zu stehen und zu unterrichten. Ich habe schon einmal Unterrichtsstunden besucht und es war ein sehr interessantes Erlebnis. Natürlich bekomme ich viele Dinge nicht mit, die die Schülerinnen und Schüler machen. Aber ich bemerke dann auch wieder einiges, das andere Lehrende nicht bemerken.

Gibt es an österreichischen Schulen bereits blinde Lehrende?

Diana Klemen: An einer Regelschule fällt mir niemand ein. Einige Semester über mir studiert aber ein junger Mann, der ebenfalls eine Sehbehinderung hat. Deshalb ist es heute auch noch sehr schwer zu sagen, welche Hilfsmittel wir im Unterricht brauchen werden, weil es einfach keine Erfahrungswerte gibt. Aber eine sehr gute technische Ausstattung wird ganz sicher nötig sein. 

Natürlich bekomme ich viele Dinge nicht mit, die die Schülerinnen und Schüler machen. Aber ich bemerke dann auch wieder einiges, das andere Lehrende nicht bemerken.

Und meine größte Frage und auch die meines sozialen Umfeldes ist: Wie werde ich mit pubertierenden Schülerinnen und Schülern zurechtkommen? Das weiß ich heute natürlich noch nicht, aber ich werde es einfach probieren und Schritt für Schritt weiter gehen. Und die Probleme dann lösen, wenn sie auftauchen und mir nicht schon im Vorfeld das Leben schwer machen.

Wie ging es Ihnen zu Beginn Ihres Studiums an der TU Graz?

Diana Klemen: Ich kannte bereits eine andere Studentin an der TU Graz. Sie hat ebenfalls eine Sehbehinderung und hat mir sehr weiterhelfen können. Und ich habe mich gleich zu Beginn an die Servicestelle „Barrierefrei Studieren“ gewandt, die mir sehr weiterhelfen konnte. Anfangs habe ich primär über diese Stelle mit den Professorinnen und Professoren kommuniziert, heute gehe ich direkt auf die Lehrenden zu. 

Wie wird an der TU Graz mit diesem Thema umgegangen?

Diana Klemen: Bevor ich an die TU Graz gekommen bin, habe ich in Judenburg das Gymnasium mit Wahlpflichtfach Informatik besucht. Schon damals waren alle sehr zuvorkommend und haben sogar alle Unterlagen, die nicht digital verfügbar waren, für mich abgetippt. Und als ich an die TU Graz gekommen bin, war ich sehr überrascht, wie offen alle damit umgehen. Ich gehe immer zumindest in die ersten Lehrveranstaltungen, um mit den Professorinnen und Professoren die Prüfungsmodalitäten zu klären. Manchmal nehme ich auch eine Mitschreibhilfe in Anspruch. Das sind Studierende, die von der Servicestelle „Barrierefrei Studieren“ organisiert werden und dafür Geld bekommen, für mich in den Lehrveranstaltungen mitzuschreiben. Man muss nur gut aufpassen, dass die Lehrenden dann nicht über die Mitschreibhilfe zu kommunizieren beginnen, denn die Studierende bin immer noch ich selbst. 
Eine große Erleichterung für mich und die Lehrenden ist auch, dass viele Lehrveranstaltungen aufgezeichnet und im Internet als Video zur Verfügung gestellt werden. So kann ich immer wieder stoppen und zurückspulen, wenn ich etwas nicht auf Anhieb gehört habe. 
Wichtig ist vor allem, dass man gleich von Anfang an sehr klare Vorstellungen davon hat, was man zum Lernen braucht und mit dieser konkreten Idee zu den Lehrenden geht. Gerade auf einer technischen Universität glaube ich, ist fast jede und jeder für alternative Lösungen offen. 

Thomas Stamer

Thomas Stamer ist 20, studiert im dritten Semester Bachelor Maschinenbau an der TU Graz. Und genauso lange – also seit drei Semestern – ist der gebürtige Deutsche nun in Österreich. „Mein Papa war Ingenieur und hat bei jedem Auslandseinsatz laut ‚hier‘ gerufen“, lacht er. Seine Jugend verbrachte der sportliche junge Mann zwischen Tianjin (China), Shanghai (China), Pakistan und schlussendlich Dubai (Vereinigte Arabische Emirate). Von dort hat er nach seiner englischsprachigen Matura nach Graz gewechselt. „Die ersten Tage habe ich mit mehreren dicken Pullovern geschlafen. Von der Hitze Dubais in die Nebel des herbstlichen Graz – das war eine gewaltige Umstellung“, erzählt er.  
Thomas Stamer studiert im dritten Semester Bachelor Maschinenbau.

News+Stories: Wie kam es zu der Entscheidung, nach Graz zu gehen?

Thomas Stamer: Ich wollte Europa schon immer sehen. Eigentlich hätte es mich nach München gezogen – also noch näher an meinen Geburtsort in Bayern. Aber dort hätte ich mit der internationalen Matura zumindest ein Semester lang auf meine Aufnahme warten müssen. Graz war die beste Alternative. Die Berge sind sehr nahe und die Steiermark ist Bayern sehr ähnlich. Und am wichtigsten ist der ausgezeichnete internationale Ruf der TU Graz im Maschinenbau. Da wollte ich hin. Und auch das TU Graz Racing Team war für mich ein wichtiger Entscheidungsgrund. Ich arbeite schon ein bisschen mit und lerne gerade Aerodynamics

Sie haben Legasthenie und ADD (Anm. Attention Deficit Disorder – die Krankheit wirkt sich auf Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Impulsivität aus). Wie gestalten Sie damit Ihren Studienalltag? Welche Anforderungen haben Sie?

Thomas Stamer: Ich habe gleich nach meiner Inskription mit der Servicestelle „Barrierefrei Studieren“ Kontakt aufgenommen, die mir sehr weitergeholfen hat. Damals wurde auch schon abgefragt, was ich bei Prüfungen speziell brauche. Heute darf ich Prüfungen in einem eigenen Raum schreiben, in dem nur ich und eine Aufsichtsperson sind. Das hilft mir sehr, weil ich mich sehr schwer konzentrieren kann, wenn andere Menschen im Raum sind und ich das Kratzen von Kugelschreibern und andere Geräusche höre. Ich muss mich einfach nur eine gewisse Zeit vor meiner Prüfung an die Servicestelle wenden und es wird alles organisiert. Ich habe schnell gemerkt, dass die Lehrenden an der TU Graz sehr offen sind und mir viele Möglichkeiten geben, mein Studium zu gestalten. 

Sie sind zwar in Deutschland geboren, aber international und vorwiegend englischsprachig aufgewachsen. War die Sprache eine weitere Hürde?

Thomas Stamer: Mein Englisch ist wesentlich besser, als mein Deutsch. Darüber hinaus kann ich etwas Chinesisch und Arabisch. Allerdings habe ich mir in Arabisch mit der Schreibrichtung sehr schwer getan und meine Lehrenden in Dubai gaben auf, als ich wegen meiner Legasthenie auch nach mehreren Semestern noch immer von links nach rechts und nicht wie im Arabischen von rechts nach links geschrieben habe (lacht).

Heute darf ich Prüfungen in einem eigenen Raum schreiben, in dem nur ich und eine Aufsichtsperson sind. Das hilft mir sehr, weil ich mich sehr schwer konzentrieren kann, wenn andere Menschen im Raum sind und ich das Kratzen von Kugelschreibern und andere Geräusche höre.

In Österreich habe ich mir am Anfang mit der Sprache sehr schwer getan – vor allem mit den vielen Fachbegriffen. Aber ich habe es gut in den Griff bekommen und im ersten Semester einfach nicht so viele Prüfungen abgelegt. Bei manchen Vortragenden durfte ich meine Prüfungen sogar in Englisch ablegen, obwohl die Lehrveranstaltungen in Deutsch gehalten wurden. Und sehr viel benötigte Literatur gibt es ohnehin auch in Englisch. Für mich wäre es natürlich fantastisch, wenn noch mehr Lehrveranstaltungen in Englisch angeboten werden würden.

Was raten Sie Studierenden, die gerade ein Studium beginnen?

Thomas Stamer: Man sollte zu Studienbeginn so oft in Vorlesungen sitzen, wie nur irgendwie möglich, um ein Gefühl für die Universität zu bekommen. Und sich ältere Studierende suchen, die Tipps geben können. Die Tutorien finde ich sehr wichtig – vor allem auch, um andere Studierende kennen zu lernen. Die Leute, die man in den ersten Wochen an der Universität kennenlernt, sind dann die Freunde und Lernpartner für die gesamte Studiendauer. Und es ist immer besser, mehrere Gehirne zu haben und sich gegenseitig zu motivieren. 

Werden Sie nach Ihrem Bachelor-Abschluss an der TU Graz bleiben?

Thomas Stamer: Das weiß ich noch nicht genau. Wenn man einmal mit dem Reisen begonnen hat, dann hört man auch nicht mehr so leicht damit auf. Mich hat der Sektor „green energy“ schon immer sehr interessiert. Und da ist Dubai ganz vorne dabei. 

Kontakt

Melanie MANDL
B.A.
Servicestelle „Barrierefrei Studieren“
Inffeldgasse 31, Erdgeschoß
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 6599
melanie.mandl@tugraz.at