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Die lebende Laboreinrichtung

21.09.2017 | Face to face

Von Birgit Baustädter

Erich Leitner ist Leiter des Instituts für Analytische Chemie und Lebensmittelchemie und ein Messinstrument: Seine Sinne sind trainiert, an Hand des Geruchs Lebensmittel objektiv zu beurteilen.

Erich Leitner in seinem Element: Kochen bei der Summer School 2017.

News+Stories: Ihr Job klingt nach sehr viel Spaß – Lebensmittel zu beurteilen muss sehr angenehm sein oder?

Erich Leitner: Meinen Mitarbeitenden und mir wird oft das Vorurteil gegenüber gebracht „Ihr esst und trinkt ja den ganzen Tag“. Aber so ist das natürlich nicht. Es ist manchmal ein sehr hartes Geschäft, denn Verkosten hat nichts mit genussvollem Konsumieren zu tun. Nimmt man zum Beispiel einen Qualitätstest her: Dabei muss ich an einem Tag bis zu 250 Fruchtsaftproben verkosten und objektiv beurteilen. Da gehört schon ein gesunder Masochismus dazu. Der Spaß hält sich auch in Grenzen, wenn man eine ganze Reihe Armaturenbretter oder Ledersitze beriechen muss. Es gibt sogar Testraucher, die den Geschmack von Tabak beurteilen – aber so jemanden haben wir hier am Institut nicht.

Das gehört auch zu ihrer Tätigkeit?

Erich Leitner: Genau. Ich leite zum einen das Institut für Analytische Chemie und Lebensmittelchemie und bin Teil der Arbeitsgruppe Lebensmittelchemie und Humansensorik. Dort beschäftigen wir uns mit sensorisch aktiven Molekülen – hauptsächlich mit Geruch in allen Lebenslagen. Dazu gehören natürlich Lebensmittel, aber auch Lebensmittelkontaktmaterialien wie Verpackungsmittel oder Besteck, oder natürlich auch Dinge wie Autoinnengerüche oder subjektive Geruchsbelästigungen in der Nachbarschaft. 
Geruch ist unser ältester Sinn und sehr stark mit Erinnerungen und Emotionen verknüpft. Wir tun uns sehr schwer, einen Geruch zu beschreiben und weichen fast immer auf Vergleiche aus: „Das riecht wie der Apfelkuchen meiner Oma.“ Oder ähnliches. Wir erinnern uns sehr lange an Gerüche. In der Arbeitsgruppe versuchen wir diese Wahrnehmung zu objektivieren und trainieren Menschen zu Prüfmaschinen, damit wir quantitative Aussagen treffen können.

Was fasziniert Sie so sehr an diesem Gebiet?

Erich Leitner: In meiner Studienzeit – die nun schon länger zurück liegt – war ich einmal in der Mensa essen. Für mich war das ein Nahtoderlebnis. (lacht) Und weil ich nicht wollte, dass es so zu Ende geht, habe ich begonnen, mich mit dem Kochen zu beschäftigen. Und dabei kam dann auch der akademische Forschungstrieb heraus: Ich will nicht nur wissen, wie ich ein bestimmtes Gericht schmackhaft mache, sondern auch, warum es denn in dieser Form so gut oder eben so schlecht geworden ist. Und irgendwann kam das Thema Wein dazu und ich habe mich langsam vorgetastet. 
Studiert habe ich ursprünglich Technische Chemie – bald wurde aber die analytische Chemie zum Thema. Als dann die erste Professur in „Lebensmittelchemie“ besetzt wurde, kam ich als Assistent ans Institut und begann, mich immer stärker für dieses Thema zu interessieren. 
In den 30 Jahren, die ich nun in Graz arbeite, habe ich mir ein großes und interessantes Netzwerk mit tollen Lebensmittelproduktionsbetrieben aufgebaut. Und in diesem Jahre hat das institut erstmals eine Summer School veranstaltet, in der ich gezeigt habe, was Qualität bei Lebensmitteln bedeutet und wie sehr dieses Verständnis kulturell bedingt ist. 

Haben Sie Tipps für Personen, denen Qualität bei Lebensmitteln wichtig ist?

Erich Leitner: Mit ist es wichtig, Respekt vor Lebensmitteln zu haben. Und ich versuche, Regionalität und Saisonalität zu leben. Das funktioniert erstaunlich gut – ich bekomme im Umkreis (wobei ich das nicht von Landesgrenzen abhängig mache) Topprodukte in einer großartigen Qualität. Ich kaufe bewusst sehr viel am Bauernmarkt ein, auch weil ich den Produzentinnen und Produzenten zeigen will, dass ich ihren Aufwand schätzte, den sie jeden Tag haben, um uns in der Stadt mit frischen Produkten zu versorgen. Und ich sehe, dass sich immer mehr Menschen damit beschäftigen. Heute gibt es zum Beispiel wieder über 20 verschiedene Sorten Paradeiser – da tut sich etwas!
Viele Menschen sagen, dass Lebensmittel so teuer sind. Aber das stimmt nicht. Vor einigen Jahren haben wir noch durchschnittlich 40 Prozent unseres Einkommens fürs Essen ausgegeben – heute sind es gerade einmal 12, in den USA sogar nur ein bisschen über 6. Besonders bei Fleisch achte ich auf den ethischen Aspekt und versuche, sorgfältig auszuwählen. Man sollte sich sehr genau überlegen, ob man die Schlachtbedingungen vertreten kann, die viele günstige Betriebe haben.

Ist es ihnen wichtig, dass die Produkte „bio“ sind?

Erich Leitner: Nicht unbedingt, weil ich denke, dass das ein höchst missbräuchlich verwendetes Verkaufsargument sein kann. Für mich sind in erster Linie der Geruch und der Geschmack ein wichtiges Thema, und natürlich auch die Regionalität. 
Für mich zählt aber auch das Wissen um die richtige Zubereitung. Je älter ich werde und je mehr ich koche, desto einfacher wird meine Küche und desto mehr werde ich zum bekennenden Nose-to-Tail-Esser, verwende also alles und schmeiße wenig weg. 

Haben sie auch selbst einmal überlegt, in die Gastronomie zu wechseln?

Erich Leitner: Meine Frau hätte sogar eine Konzessionsprüfung – aber die Gastronomie ist gnadenlos. Das tun wir uns nicht an (lacht). Hobby sollte Hobby bleiben – auch wenn ich genau genommen auch meinen Job als Hobby sehe, weil ich ihn so interessant finde und gerne mache. Zudem habe ich den Vorteil gegenüber den Gastronominnen und Gastronomen, dass ich mir meine Gäste aussuchen kann (lacht). 

Kontakt

Erich LEITNER
Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Analytische Chemie und Lebensmittelchemie
Stremayrgasse 9/II
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 32503
erich.leitner@tugraz.at