In einer Arbeit 2010 sprechen Sie von der „Vision Internet der Dinge" – wie weit sind wir?
Friedemann Mattern: Tatsächlich war vor sechs Jahren die Vorstellung, dass die Dinge der Welt miteinander und mit uns via Internet kommunizieren, noch eine Vision – und klang damals auch ein bisschen verrückt und unnütz. Aber zwei technische Entwicklungen nahmen ab dann rasant an Fahrt auf – einerseits die Smartphones mit ihren Apps, andererseits Kommunikationstechnologien für kurze Distanzen, die sehr wenig Energie benötigen. Smartphones können jetzt mit der Supermarktkasse kommunizieren, Verkaufsautomaten bestellen via Internet automatisch Nachschub und der Fahrradhelm mit rotem Rücklicht leuchtet auf, wenn das Fahrrad bremst. Noch stehen wir mit solchen Beispielen aber erst am Anfang des Internets der Dinge.
Wohin geht die Entwicklung?
Friedemann Mattern: Wenn immer mehr Dinge ihren Zustand und ihre Wahrnehmung weitermelden können, dann ist vieles möglich: Autos warnen einander vor Gefahren, der Kühlschrank kühlt auf Vorrat, wenn Strom gerade im Überfluss vorhanden ist, und die Unterwäsche meldet Herzrhythmusstörungen. Der Fantasie sind da kaum Grenzen gesetzt.
Welche Entwicklungen braucht es noch, um die Vision wahr zu machen?
Friedemann Mattern: Die „Hardware“, also die Sensorik, die Computerchips und die Kommunikationsmodule können nie klein genug, billig genug und energiegenügsam genug sein, wenn man auch die einfachsten Dinge an das Internet anbinden möchte. Vor allem die autonome Energieversorgung und die zuverlässige Funkkommunikation stellen wichtige Forschungsthemen dar.
Wozu brauchen wir diese Vernetzung?
Friedemann Mattern: Wirklich brauchen tun wir das nicht, schließlich haben wir die letzten paar Millionen Jahre auch ohne das Internet der Dinge gelebt. Aber ein Auto, das nicht nur fährt, sondern weiß, wo es fährt; Operationsbesteck, das meldet, ob es desinfiziert wurde, oder ein Koffer, der lernt, zu wem er gehört und wo er landen soll, haben einen digital vermittelten Zusatznutzen und sind so mehr wert als das nackte Ding an sich.
Mattern sprach bei der Nikola Tesla Lecture on Innovation zum Thema "Das Internet der Dinge und die neue digitale Revolution".
Welche Gefahren und moralischen Probleme können sich im Gegenzug ergeben?
Friedemann Mattern: Natürlich denkt man zunächst an die Gefährdung der Privatsphäre. Die Spielzeugpuppe, die alles weitermeldet, was das Kind von sich gibt, demonstriert die Problematik ja eindrücklich. Aber es gibt noch andere Problembereiche: Wem gegenüber sind die vernetzten Dinge loyal? Gehört mir das E-Book oder kann mir das gekaufte und heruntergeladene Buch aus der Ferne auch wieder entzogen werden? Vor allem aber werden wir immer abhängiger vom korrekten Funktionieren der vernetzten Dinge.
Sie forschen seit vielen Jahren am Internet der Dinge – woher kommt die Faszination?
Mitte der 1990er-Jahre wurde mir klar, dass der Trend der Computertechnik – immer kleiner, besser, billiger – noch lange anhalten würde und dass die Informatik damit fast zwangsläufig in die physische Welt eindringen wird. Die denkbaren Szenarien haben mich gleichermaßen fasziniert wie erschreckt. Diese Entwicklung wollte ich als Wissenschafter und Hochschullehrer kritisch begleiten, vielleicht sogar ein Stück weit mitgestalten.
„Das Internet der Dinge und die neue digitale Revolution“ war Thema der diesjährigen Nikola Tesla Lecture on Innovation. Die TU Graz-Veranstaltungsreihe lädt einmal jährlich zu Vorträgen besonders prominenter und renommierter nationaler und internationaler Forschender ein, die einem heterogenen Publikum Einblicke in ihr jeweiliges Spezialgebiet geben.