News+Stories: Sie haben in der Experimentalphysik Karriere gemacht. Nach Ihrem Studium an der LMU München machten Sie Stationen in Kalifornien, an der TU München und Jena und sind nun seit zweieinhalb Jahren an der TU Graz tätig. Warum haben Sie sich für die Physik entschieden?
Birgitta Schultze-Bernhardt: Ich habe die Naturwissenschaften schon während meiner ganzen Schulzeit am interessantesten gefunden. Lange Zeit wollte ich Mathematik studieren, aber weil mir die Physik in den letzten beiden Schuljahren als alltagsnäher erschienen ist, habe ich mich schließlich umentschieden.
Haben Sie Ihre Entscheidung jemals bereut?
Schultze-Bernhardt: Nein, niemals (lächelt). Ich bin heute noch der festen Überzeugung, dass das genau der richtige Weg war.
In einer Interviewserie setzt sich die TU Graz ab 8. März schwerpunktmäßig mit den Karrierechancen und -herausforderungen von Frauen im Studium, in der Forschung, Lehre und Wirtschaft auseinander. Frauen an unterschiedlichen Karrierepunkten erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen. Hier geht es zu den Interviews mit Informatikerin Johanna Pirker, Elektrotechnikerin Lia Gruber, Studentin Christina Fior und TU Graz-Absolventin Esther Lind.
Ihre Schulzeit haben Sie an einer reinen Mädchenschule verbracht. Es widerspricht dem Klischee, dass Sie sich für Naturwissenschaften und ganz besonders für die Physik interessierten…
Schultze-Bernhardt: Ja, ich war an einem neusprachlichen Gymnasium – dem der „Englischen Fräulein“ in München. Es waren tatsächlich sogar Nonnen anwesend (lacht). Und ich finde, dass das der beste Weg war. Weil ich vollkommen neutral und von allen Klischees unvoreingenommen meinen Interessen nachgehen konnte. Es war nie ein Thema unter meinen Lehrkräften oder Mitschülerinnen, wofür ich mich interessierte. Aus Erzählungen weiß ich, dass der Ton beispielsweise im Physik-Unterricht in gemischten Klassen ein ganz anderer war. Ich konnte mich also vollkommen frei entscheiden.
Haben auch Ihre Klassenkameradinnen das so gesehen?
Schultze-Bernhardt: Das möchte man vermuten. Aber so war es nicht. Obwohl wir alle so frei in unseren Entscheidungen waren, war ich die einzige, die sich für ein Physikstudium entschieden hat. Ich fand das sehr schade.
Wie sind Sie damit umgegangen, dass Sie eine von sehr wenigen Frauen in Ihrem Studium waren?
Schultze-Bernhardt: Damit habe ich mir nie schwer getan. Das habe ich auch nicht hinterfragt zu diesem Zeitpunkt. Was ich aber tatsächlich lernen musste war, mit einer gewissen Sicherheit mein Wissen zu vertreten. Es ist mehrmals passiert, dass ein männlicher Kommilitone einfach etwas behauptet hat und ich vollkommen beeindruckt war, wie schnell er das verstanden hat, was ich noch überhaupt nicht verstanden hatte. Oft hat sich dann schnell herausgestellt, dass er doch gar nicht so gut Bescheid wusste (lacht). Da war ich mit Sicherheit einfacher zu beeindrucken als andere Kolleginnen.
„WomenUniverse“, das alumni-Frauennetzwerk der TU Graz, ist ein Forum für Absolventinnen, Studentinnen und alle Frauen, die an der Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft interessiert sind. Regelmäßige Aktivitäten (live und online) bieten Frauen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien ihrer Berufs- und Karriereplanung die Möglichkeit sich in einem geschützten Umfeld auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und der TU Graz ein Stück näher verbunden zu bleiben.
Bei Interesse melden Sie sich via frauen an. Mehr Informationen zum Netzwerk und zu aktuellen Terminen finden Sie auf der @alumni.tugraz.atWomenUniverse-Webseite https://alumni.tugraz.at/unsere-aktivitaeten/womenuniverse.
In Ihrem Studien-Jahrgang waren rund 20 Prozent Frauen. Ist das während der gesamten Studienzeit so geblieben?
Schultze-Bernhardt: Nein, die Zahl hat tatsächlich sukzessive abgenommen. Das war aber sehr natürlich und hatte meiner Meinung nach wenig mit dem Geschlecht zu tun. Es haben auch sehr viele Männer das Studium abgebrochen. In der Physik ist das einfach so – viele fangen an und stellen nach einigen Semestern fest, dass es doch nichts für sie ist. In meiner ersten Lerngruppe zum Beispiel waren vier Frauen und zwei Männer. Beide Männer haben schlussendlich das Studium abgebrochen – einer davon, weil er doch lieber Informatik studieren wollte.
Sind Ihnen bestimmte Hürden oder Vorteile aufgefallen, die Sie im Gegensatz zu Ihren männlichen Kollegen hatten?
Schultze-Bernhardt: Nein. Das Gefühl hatte ich nie. Mir sind nur gewisse Dinge aufgefallen. Zum Beispiel sind während meiner Doktoratsausbildung fast alle meiner männlichen Kommilitonen Väter geworden. Das ist bei Ihnen einfach so nebenher mitgelaufen. Aber keine der Frauen hat zu diesem Zeitpunkt eine Familie gegründet. Auch ich war damals nicht dazu bereit. Es wäre auch organisatorisch mit den vielen Überstunden am Abend und Wochenende realistisch betrachtet gar nicht möglich gewesen.
Mittlerweile sind Sie erfolgreich als Physikerin und haben drei Kinder.
Schultze-Bernhardt: Ja. Rückblickend könnte man denken, dass das einfach sehr gut geplant war, aber es war natürlich auch Glück dabei. Ich habe lange mit dem Wissenschaftssystem gehadert, weil die aneinandergereihten, befristeten Post-Doc-Verträge nicht die Sicherheit bieten, die ich gerne gehabt hätte. Aber heute sehe ich das anders. Ich habe gemerkt, dass eine Familie auch mit der notwendigen Flexibilität in meinem Beruf vereinbar ist. Unsere drei Kinder sind in drei unterschiedlichen Ländern auf die Welt gekommen. Das funktioniert also auch (lacht). Und wäre das Wissenschaftssystem nicht das, was es nun einmal ist, hätte ich mich nie auf diese Stellen beworben, hätte nie diese Erfahrungen gemacht, wäre nie so selbstständig geworden, wie ich es heute bin, und hätte auch nie die Ideen für meine Forschung, die ich heute habe.
Ich habe gemerkt, dass eine Familie auch mit der notwendigen Flexibilität in meinem Beruf vereinbar ist.
Haben Sie Beratungsangebote in Anspruch genommen?
Schultze-Bernhardt: Um ehrlich zu sein, habe ich nie nach speziellen Angeboten für Frauen gesucht. Mir ist es wichtig, dass beide Geschlechter möglichst gleich behandelt werden. Was ich aber toll finden würde, wäre eine Art Mentoring Programm, wo Frauen bei ganz konkreten Fragen unterstützt werden.
An der Fakultät für Mathematik, Physik und Geodäsie der TU Graz haben wir gerade intensiv diskutiert, wie Frauen für ein Studium und eine Karriere in der Wissenschaft zu begeistern sind, wenn sie sich denn dafür interessieren. Ich habe mir dazu eine Veranstaltungsreihe überlegt, wo Doktorandinnen von ihrer Arbeit berichten und Interessierte Fragen stellen können. Solche Dinge finde ich sehr sinnvoll.
Was hat sich denn bereits für Frauen in der Wissenschaft geändert?
Schultze-Bernhardt: Kinderbetreuung ist natürlich vor allem für Frauen ein sehr großes Thema. Und zum Glück gibt es mittlerweile viele Angebote. Zum Beispiel die Nanoversity an der TU Graz, die unbedingt größere Kapazitäten braucht. Weil die Einrichtung wunderbar ist.
Auch bei Konferenzen ist heute vieles anders als früher. Vor einigen Jahren haben mein Ehemann und ich an derselben Laser-Konferenz teilgenommen. Mit unserem damals einjährigen schlafenden Sohn wurden wir nicht einmal in die Gänge vor die Vortragssäle gelassen. Bei einer der letzten Konferenzen, die ich besucht habe, war eine Frau mit ihrer kleinen Tochter sogar bei einem Vortrag. Das muss überhaupt nicht stören. Das hat sich sehr verändert. Schon alleine das Naserümpfen ist weitgehend verschwunden (lacht). Das ist ein sehr schönes Zusammenwachsen der Lebensbereiche, die manchmal nicht so gut trennbar sind.
Möchten Sie selbst ein Role Model für junge Frauen sein? Ist so etwas notwendig?
Schultze-Bernhardt: Mir ist in meiner Studienzeit gar nicht aufgefallen, dass es keine weiblichen Physik-Professorinnen gab. Ich habe das nicht hinterfragt und mir keine Gedanken darüber gemacht. Und trotzdem bin ich diesen Weg gegangen. Es ist also offenbar nicht unbedingt notwendig. Aber wenn ich jemandem Orientierung geben kann und mit meinen Erfahrungen helfen, dann mache ich das sehr gerne. Es ist eine sehr schöne Entwicklung, dass es mittlerweile in jedem akademischen Alter Frauen gibt, die da sind, ihre Arbeit tun und sie gut und gerne tun. Der Rest ergibt sich dann hoffentlich von selbst.