News+Stories: Sie haben Anfang des Jahres den mit 300.000 Euro dotierten Forschungspreis des Industrie-Vereins ASMET und des Wissenschaftsfonds FWF gewonnen – was passiert mit dem Forschungsgeld?
Cecilia Poletti: Ich arbeite mit insgesamt 13 Personen in der Forschungsgruppe Modellierung und Simulierung am Institut für Werkstoffkunde, Fügetechnik und Umformtechnik. Schwerpunkt sind thermodynamische Prozesse von Legierungen. Wir sind zwei Professor/innen in der Gruppe und haben drei Postdocs und vier Dissertant/innen. Davon werden sich ein Postdoc und ein Dissertant an meinem ASMET-Projekt beteiligen. Es heißt „Fließlokalisierungen und Fließinstabilitäten von Legierungen“ und soll in Summe dreieinhalb Jahre laufen.
Worum genau geht es im Projekt?
Cecilia Poletti: Es handelt sich eindeutig um Grundlagenforschung, aber eine zentrale Frage ist auch die Anwendung in den Schmiedeprozessen der Industrie. Man muss es sich so vorstellen: Wenn Schmiedeprozesse mit sehr hoher Temperatur durchgeführt werden, dann verformt sich das Material idealerweise fließend und homogen. Am Ende sollte man dann einen Werkstoff mit einer gewissen Form und gewissen Eigenschaften erhalten. Hitze macht den Werkstoff aber weicher Um eine höhere Festigkeit des Endprodukts zu bekommen, versucht man, den Werkstoff bei einer so geringen Temperatur und so schnell als möglich zu verformen.
Am Ende hat man statt der richtigen Form und den richtigen Eigenschaften im schlimmsten Fall zwei zerbrochene Einzelteile oder einen dicken Riss im Werkstück.
Es kann nun aber passieren, dass sich das Metall unregelmäßig verformt und es in manchen Bereichen weich wird und bricht. Am Ende hat man statt der richtigen Form und den richtigen Eigenschaften im schlimmsten Fall zwei zerbrochene Einzelteile oder einen dicken Riss im Werkstück. Wenn dieser Riss nur oberflächlich ist, dann kann man es manchmal ausbessern – geht er aber tiefer, dann muss man noch einmal komplett von vorne beginnen.
Unsere Idee ist es, die Prozessparameter – also die Pressgeschwindigkeit und das Temperaturfenster – festzulegen, bei dem es zu keinen solchen Fließinstabilitäten kommen kann.
Was genau hat ihr Interesse an der Materialwissenschaft geweckt?
Cecilia Poletti: Das war ein langer Weg! Ich bin in Argentinien aufgewachsen – mein Vater war Chemiker. Als ich vier Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal ein Mikroskop in die Hände bekommen. Und das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Auch wenn wir uns als Kinder nur schmutziges Wasser angesehen haben (lacht).
Als ich vier Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal ein Mikroskop in die Hände bekommen.
Später habe ich mir verschiedene Studien von Chemie über Astronomie bis hin zu Paläontologie angesehen. Wäre es nicht die Materialwissenschaft geworden, dann hätte ich ganz sicher eine anderen Obsession gehabt (lacht). In meiner Heimatstadt habe ich mich dann für Verfahrenstechnik entschieden und hatte die Möglichkeit, für meine Diplomarbeit ins Ausland zu gehen – nach Wien. Dort bin ich zum ersten Mal mit den Materialwissenschaften in Berührung gekommen. Ich liebe die Interdisziplinarität und Diversität in diesem Fach – alle Forschenden kommen mir ihrem eigenen wissenschaftlichen Background und können ihn in die Arbeit miteinbringen ohne ihre Wurzeln zu verlieren.
Apropos Diversität: Gerade in der Materialwissenschaft gibt es wenige Frauen. Warum ist das so?
Cecilia Poletti: Ich weiß es nicht genau. Ich selbst fühle mich weder diskriminiert noch ausgeschlossen, aber vor allem auf Konferenzen merkt man, dass es kaum weibliche Forschende in diesem Bereich gibt. Es beginnen schon sehr wenige Frauen mit einem Studium in diesem Bereich und die wenigen gehen dann auch noch irgendwo am Weg „verloren“ bis in den Führungspositionen fast keine Frauen mehr zu sehen sind. Ich glaube, dass ist auch eine Frage der Vorbilder. Wenn junge Mädchen schon keine Frauen in diesem Job sehen, dann fragen sie sich sicher „Ist denn hier Platz für mich?“ Deshalb versuche ich, immer bei allen Präsentationen dabei zu sein und viel Kontakt zu den Studentinnen zu haben, um ihnen zu zeigen, dass sie durchaus Platz haben.
Wenn junge Mädchen schon keine Frauen in diesem Job sehen, dann fragen sie sich sicher „Ist denn hier Platz für mich?“
Und es ist sicher auch eine Sache der Erziehung: Mein Bruder und ich hatten als Kind alle Möglichkeiten – haben beide sowohl Barbies als auch Lastwagen zum Spielen bekommen. Ich frage mich immer, warum sollte ein Mädchen, dass immer nur mit Barbies gespielt hat plötzlich, wenn sie älter ist, mit Autos zu „spielen“ beginnen und eine technische Ausbildung machen? Das ist auch eine Sache der Vorbilder und Optionen als Kind. Ich habe es ja jetzt quasi leicht: Ich habe einen Sohn (lacht)! Aber auch er wird alle Möglichkeiten haben. Ich versuche nicht, ihn speziell für die Technik zu interessieren.
Mein Bruder und ich hatten als Kind alle Möglichkeiten – haben beide sowohl Barbies als auch Lastwagen zum Spielen bekommen.
Aber es ist nicht nur ein Problem zwischen den Geschlechtern – Diversität ist ohnehin selten, auch, was verschiedene Meinungen, Herkunft und Religion betrifft. Speziell für die Forschung wäre eine Vielfalt an Meinungen, Zugängen und Sichtweisen aber sehr wichtig. Man denkt immer, dass Forschung rein faktenlastig ist, aber es geht sehr stark auch um die einzelnen Persönlichkeiten und vor allem um die Ideen der Forschenden.
Speziell für die Forschung wäre eine Vielfalt an Meinungen, Zugängen und Sichtweisen aber sehr wichtig.
Ist ihr Job kreativ?
Cecilia Poletti: Ja, das ist er. Ich kann so kreativ sein, wie ich will – die Grenzen machen wir uns eigentlich nur selbst, die kommen nicht von außen. Natürlich gibt es fixe Erkenntnisse und Regeln, aber wir können auch frei arbeiten. Zum Beispiel müssen die harten technischen Daten immer interpretiert werden und da können wir eigene Zugänge und Blickwinkel einbringen. Und man kann vor allem in der Fragestellung sehr kreativ sein - so wie die Menschen, die tatsächlich etwas Wichtiges entdeckt haben. Ob mir das auch gelingt, hängt nur von meiner eigenen Kreativität und Fragestellung ab – wir können mit den Augen alle das gleiche sehen, aber ob ich etwas entdecke hängt nur von mir selbst ab und von den Fragen, die ich stelle.
Wir können mit den Augen alle das gleiche sehen, aber ob ich etwas entdecke hängt nur von mir selbst ab und von den Fragen, die ich stelle.
Und ich kann in den Methoden sehr kreativ sein und zum Beispiel Methoden aus einem anderen Bereich einsetzen und schauen, was passiert. Es geht immer um das Warum, Was und Wie. Die Grenzen sind immer nur im Kopf.
Was tun Sie, um den Kopf frei zu bekommen?
Cecilia Poletti: Ich mag die Natur, fahre gerne Rad und gehe viel Wandern – überall, wo ich mit dem Zug oder mit dem Bus hinkomme gehe ich einfach einmal los. Und ich reise sehr gerne. In Europa muss man reisen – es gibt so viel zu sehen, zu kosten, kennenzulernen und zu atmen! Deshalb habe ich mir Europa damals auch ausgesucht. Es gibt hier alles nebeneinander – Mozart und Käsekrainer zum Beispiel (lacht).
Natürlich komme ich von meinem Job nicht ganz weg. Die Werkstoffe verfolgen mich ja – sie sind einfach überall! Wir haben eine sehr materialistische Welt im tatsächlichen Sinne des Wortes.