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Wenn der Zug das E-Auto lädt

06.06.2023 | Planet research | FoE Mobility & Production

Von Falko Schoklitsch

Wer lange Strecken mit dem E-Auto fahren möchte, muss sich Gedanken über Ladestopps machen. Das Projekt RailCharge der TU Graz verlegt den Ladeprozess auf die Schiene und löst so mehrere Probleme.

Armin Buchroithner (l.) und Peter Brunnhofer waren Teil des Projektes RailCharge. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

Reichweite, das Thema, das nach wie vor als eine der Achillesfersen in der Elektromobilität gesehen wird. Wer lange Strecken fährt, kommt um einen oder gar mehrere Ladestopps meist nicht herum. Und das braucht Zeit. Was wäre, wenn man während des Ladestopps aber einen Großteil der Strecke zurücklegt, mit einem vollgeladenen Auto in der Nähe des Ziels ankommt und die letzten Kilometer ausgeruht und ohne kritischen Blick auf den Ladestand zurücklegen kann? Und was wäre, wenn man dabei gleich noch ein paar weitere Problemstellungen der Elektromobilität auflöst – beispielsweise die erhöhte Belastung des Stromnetzes durch eine starke Zunahme von Elektroautos?

Genau mit dieser Möglichkeit beschäftigt sich das Projekt RailCharge an der TU Graz. Die Idee dahinter: In Zukunft müssen Elektrofahrzeuge nur noch den Weg zum Bahnhof zurücklegen, werden auf einem Autozug während der Fahrt aufgeladen und die Autolenker*innen können am Zielbahnhof entspannt mit einem vollgeladenen Auto die Fahrt zum endgültigen Ziel antreten.

Fahren mit Chauffeur seit mehr als 100 Jahren

Dieses Konzept bietet zahlreiche Vorteile und Lösungen für Herausforderungen, die in der aktuellen Debatte rund um Elektromobilität noch hemmend sind. Da wäre die zu Beginn angesprochene Reichweite. Diese Thematik bei Elektrofahrzeugen bedingt, dass recht große und schwere Batterien verbaut werden. Rein aus ökonomischer und umwelttechnischer Sicht ist das aber nicht sehr sinnvoll, speziell da die meisten Einzelfahrten im Verkehrsmix relativ kurz sind und daher höhere Kosten und Ressourcenverbrauch für große Batterien vermeidbar wären. Nimmt man dann noch den Trend in Richtung autonomes Fahren hinzu, bietet sich als Alternative rasch die Bahn an, die bereits seit rund 100 Jahren Passagiere großteils mit elektrischem Antrieb und ohne die Notwendigkeit, ein Lenkrad in die Hand zu nehmen, an ihr Ziel bringt.

Nehmen wir einmal an, es kommen jetzt am Abend die Menschen nach Hause und wollen zigtausende Fahrzeuge gleichzeitig schnellladen

„Und wenn man Roll- und Luftwiderstand auf Kilometertonne oder einen Passagier aufrechnet, ist es mit der Bahn auch deutlich effizienter“, sagt Armin Buchroithner vom Institut für Elektrische Messtechnik und Sensorik, der das Projekt RailCharge auf Seite der TU Graz leitet. Das Ziel dabei ist aber nicht, den gesamten Autoverkehr auf die Schiene zu verlegen, sondern das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen: Die Flexibilität und Individualität eines elektrifizierten PKW auf der first und der last Mile und die Vorteile des entspannten Fahrens mit der Bahn, währenddessen der PKW vollgeladen wird.

Vollgas ohne Ladestandspanik

Aus dieser Kombination ergeben sich einige Sekundäreffekte, die sich ebenfalls positiv auswirken. Von kurvenreichen Strecken quer durch die Berge einmal abgesehen, lässt es sich mit der Bahn auch dauerhaft schneller fahren, ohne dass dabei der Batterieladestand eine Rolle spielt. Und gleichzeitig werden die transportierten PKW über das Energiemanagementsystem des Zuges geladen, das über ein eigenes Stromnetz versorgt wird, womit es keine Auswirkungen auf die Stabilität des öffentlichen Elektrizitätsnetzes gibt. „Nehmen wir einmal an, es kommen jetzt am Abend die Menschen nach Hause und wollen zigtausende Fahrzeuge gleichzeitig schnellladen. Das belastet unser Elektrizitätsnetz, das derzeit aufgrund des Ausbaus der volatilen Quellen ohnehin etwas leidet“, erklärt Armin Buchroithner. Wenn sich aber während der Bahnfahrt das Zugnetz nutzen lässt, dann sind die zu erwartenden Belastungen einerseits besser kontrollierbar und auch vorhersagbar.

Um für die Idee hinter RailCharge die realistischen Marktpotenziale auszuloten, gab es eine enge Zusammenarbeit mit dem TU Graz-Spin-off verkehrplus, das sich mit Verkehrsplanung beschäftigt. Dabei wurde in Verkehrsstromanalysen evaluiert, wie sich der Pendler- und der Berufsreiseverkehr sowie auch der Logistikverkehr gestaltet und was sich davon unter welchen Voraussetzungen auf die Schiene verlagern ließe. So verspricht die Verlagerung einer 45-minütigen Pendlerstrecke auf den Zug unter den aktuellen Voraussetzungen nicht unbedingt Erfolg, da in Relation zur Fahrtdauer viel Zeit mit der Fahrt zum und vom Bahnhof sowie dem Verladen hinzukommt und die Autos während der kurzen Zugfahrt mit konservativer Ladetechnologie nicht besonders viel Strom tanken können. Durch neue Wagondesigns und Weiterentwicklungen der Leistungselektronik soll sich das in Zukunft aber ändern und solche Anwendungsfälle könnten ebenfalls abgedeckt werden. Auch an diesen Lösungsansätzen wird geforscht.

Pendlerzug gegen Reisezug

Bei anderen Use Cases wäre eine Umsetzung unter aktuellen technischen Gesichtspunkten einfacher machbar. Ein gutes Beispiel ist ein Urlaubsreisezug. In den Hauptreisewochen ließe sich ein Zug anbieten, auf dem die Reisenden ihre Elektroautos abstellen, den Großteil der Fahrstrecke gemütlich in einem Abteil verbringen und dann mit einem vollgeladenen Fahrzeug nahe ihrer Urlaubsdestination ankommen. Armin Buchroithner erklärt: „Da kann ich das zeitlich begrenzt machen, verkaufe vorher die Tickets, es ist technologisch überschaubar und ich habe lange Zeiten, in denen ich die Akkus laden kann. Ich bekomme sie also recht einfach voll, weil ich auf der längeren Fahrt keine unglaublichen Leistungen brauche.“

Dieser Artikel ist Teil des TU Graz Dossiers „Aufgeladen”. Weitere Dossiers finden Sie unter www.tugraz.at/go/dossiers.

Laden mit dem Rüssel

Aber nur weil das Beispiel Urlaubsreisezug einfacher umzusetzen wäre, sind natürlich auch hier einige technische Lösungen notwendig, die im Projekt RailCharge entwickelt oder zumindest definiert worden sind. Das beginnt dabei, dass das Fahrzeug und sein Ladesystem erst einmal mit dem Energiemanagementsystem des Zugs verbunden werden müssen. Ein normaler Ladestecker mit Kabel ist dafür ungeeignet, da der Zug während der Fahrt Vibrationen ausgesetzt ist und das Kabel durch die Bewegungen des Zuges am Lack des Autos scheuert. Darum wurde zusammen mit dem Projektpartner easelink eine passende Schnittstelle entwickelt, die sich am Unterboden des Fahrzeuges befindet. Von dort fährt ein nachrüstbarer, flexibler Rüssel auf eine Ladeplattform am Boden des Zuges und bezieht darüber den Ladestrom. Damit entfällt auch das Risiko, durch verlegte Kabel Stolperfallen im Autowagon zu haben.

Zusätzlich muss der Strom im Zug auch in der passenden Form bereitgestellt werden. Denn nur weil Energie da ist, sind Spannungsniveaus und Frequenzen noch lange nicht mit der gängigen Ladesäulentechnologie kompatibel. Und wenn der Zug wirklich mit hohen Geschwindigkeiten von 300 km/h oder mehr fährt, müssten die Autos in einem geschlossenen Wagon transportiert werden, da sie sonst bei der Einfahrt in ein Tunnelportal aufgrund des entstehenden Luftdrucks wohl ihre Scheiben verlören. „Aktuell gibt es keine Wagons, die dafür vorgesehen wären“, berichtet Armin Buchroithner.

Wenn Neudenken auf die Zertifizierung trifft

Daher ist auch die Wagonarchitektur ein wichtiges Thema für RailCharge, wobei es nicht nur darum geht, wie die Autos transportiert werden, sondern auch darum, wie sie möglichst rasch auf- und abgeladen werden können – und das trotz verschiedenster Dimensionen. Für Armin Buchroithner ist hier ein Neudenken gefragt, was allerdings teilweise im Widerspruch zu aktuellen Normen und Zertifizierungsmöglichkeiten steht. Im Bahnwesen gibt es bestimmte Geometrien, Module, Baugruppen und Technologien, die zertifiziert sind und verwendet werden können. Alles, was davon abweicht, hat einen langen Weg vor sich, bevor es auf die Schiene gelassen wird.

Was mir persönlich vorschwebt, wäre ein Technologiedemonstrator in Form eines Wagons, der auf einer Teststrecke unterwegs ist

Darum profitiert das Projekt stark davon, dass auch die Rail Competence und Certification GmbH RCC mit an Bord ist. Inhaber Alexander Schimanofsky hat viel Erfahrung und weiß daher, welche Technologieansätze eine Chance auf Zertifizierung haben und was zwar technologisch reizvoll und sinnvoll erscheinen mag, aber für die Bahn nicht umgesetzt werden kann. In Verbindung mit SSC Railtech, wo Wagondesign in Form von innovativen Güterzugslösungen und Ladelösungen gemacht wird, entstehen so realistisch umsetzbare Konzepte.

Laden ohne Grenzen

Die realistische Umsetzung eines dieser Konzepte wäre dann auch das gewünschte Folgeprojekt von RailCharge. „Was mir persönlich vorschwebt, wäre ein Technologiedemonstrator in Form eines Wagons, der auf einer Teststrecke unterwegs ist. Vielleicht auch eine Strecke mit einem Grenzübergang. Es wäre schön, wenn man darstellen kann, dass das etwa bei einer Fahrt von Wien nach Dresden oder Leipzig möglich ist. Im Wesentlichen soll gezeigt werden, dass es möglich ist, Fahrzeuge unterschiedlicher Topologie auf der Schiene zu laden und sie kommen vollgeladen an“, sagt Armin Buchroithner.

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Kontakt

Armin BUCHROITHNER
Dipl.-Ing. Dr.techn.
TU Graz | Institut für Elektrische Messtechnik und Sensorik
Tel.: +43 316 873 30514
armin.buchroithnernoSpam@tugraz.at