„In meinem Büro muss ich mich wohl fühlen“ ist Martin Ebner’s Credo. „Keiner von meinem Team soll das Gefühl haben, 'schon wieder hier' sein zu müssen“, erklärt er. Und ein Blick in seine Räumlichkeiten in der Münzgrabenstraße verrät, wie wörtlich er es nimmt: Verschiedenste Sitzmöbel, bunte Bilder, Pflanzen und auflockernde Raumteiler. In diesem kunterbunten Kreativ-Büro an der TU Graz tüftelte er zuerst in der Abteilung „Vernetztes Lernen“ des Zentralen Informatikdienstes und seit Jänner als eigene Organisationseinheit „Lehr- und Lerntechnologien“ an neuen Technologien im und für den Lehr- und Lernprozess. Gestartet als Bauingenieur am Institut für Betonbau, begann sich der heute 40-jährige während seiner Dissertation mit dem damals noch sehr jungen Thema „E-Learning“ zu beschäftigen. Der Technologie-Fan und -Vordenker im persönlichen Interview.
News+Stories: Was ist am Thema E-Learning so interessant, dass Sie vom Betonbau gewechselt haben?
Martin Ebner: Ich bin sehr jung dazu gekommen und war mit vollem Enthusiasmus dabei. Da musste relativ schnell relativ viel getan werden. Heute bin ich, glaub ich, einer der Vertreter in Österreich, der versucht, Medien im gesamten Bildungssystem zu verankern. Als Hochschule haben wir die Bestrebung, die beste Ausbildung unseren Studienanfängerinnen und -anfängern zukommen zu lassen. Die Art, mit der heute noch Bildung gemacht wird, halte ich jedoch zum Teil für grob fahrlässig, weil die Schülerinnen und Schüler nach ihrem Abschluss mit einer gänzlich neuen Realität konfrontiert sind. Und genau da haben wir zu arbeiten begonnen: Mit der Idee, Medien bereits in der Schule zu verankern und zu zeigen, welches Potential sie haben und um die Jugend von heute auf die Arbeitswelt von morgen vorzubereiten. In Zukunft braucht der Arbeitsmarkt kreative Personen, die Technologien selbstverständlich bedienen können.
Es gibt wohl kaum andere Leute, die auf der einen Seite Forscher sind und auf der anderen Seite eine Lernplattform wie unser „TeachCenter“ mit 15.000 Studierenden leiten.
Und die Arbeit direkt an der TU Graz?
Martin Ebner: Ich habe hier eine Doppelrolle: Als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrender am Institut für Informationssysteme und Computer Medien und als Nicht-Wissenschafter in der Leitung der neuen OE. Es gibt wohl kaum andere Leute, die auf der einen Seite Forscher sind und auf der anderen Seite eine Lernplattform wie unser „TeachCenter“ mit 15.000 Studierenden leiten. Bei meinem Arbeitsbeginn war es für mich Voraussetzung und persönlicher Anspruch, dass ich beides machen kann, weil ich mir sehr schwer tue, über etwas zu theoretisieren, was ich nicht selbst praktisch erlebt habe.
Was ist Kommunikation für Sie?
Martin Ebner: Ohne Kommunikation gibt es kein Lernen – erst über das Reden wird Lernstoff vermittelt, über Fragen und Feedback. Die Form des Diskurses ist es, die eine Universität auszeichnet. Dabei geht es aber nicht um das „eine“ Tool. Jedes Medium hat seinen eigenen Kommunikationsstil und eignet sich in bestimmten Situationen besser oder schlechter. Ich bin zum Beispiel über viele Kanäle erreichbar, beobachte neue Tools und habe fast überall Accounts. Mein Handy beziehungsweise meine Apple Watch zeigen mir die neuesten Benachrichtigungen. Wichtig ist nur, dass man jene Kommunikationskanäle die man aufmacht auch bedient. Das gebe ich allen Lehrenden mit.
Zum Beispiel habe ich einmal gemeinsam mit einem 300-köpfigen Team an einem 600 Seiten Buch in Echtzeit gearbeitet.
Wie viel Ihrer Kommunikation läuft virtuell ab?
Martin Ebner: Für mich gibt es nur eine Community, denn real und virtuell lassen sich nicht mehr voneinander trennen. Ich habe auch schon mit anderen Wissenschaftern gemeinsam publiziert, ohne sie jemals gesehen zu haben. Die Zusammenarbeit ist rein virtuell abgelaufen. Mittlerweile weiß ich auch, mit wem ich unter Zeitdruck bei größeren Projekten zusammenarbeiten kann. Zum Beispiel habe ich einmal gemeinsam mit einem 300-köpfigen Team an einem 600 Seiten Buch in Echtzeit gearbeitet. Wir haben uns damals genau eine Woche Zeit gegeben. Die ersten Beiträge sind am Montag und Dienstag eingetrudelt, wurden parallel schon begutachtet und lektoriert. Zwischen Mittwoch und Mittwoch ist das Buch entstanden und war am letzten Tag online zu kaufen. Das war eine spannende Erfahrung. Es gab tägliche Redaktionssitzung mit den Beteiligten, die in sieben Camps über ganz Österreich und Deutschland verteilt waren. Heute ist das Buch als freie Bildungsressource verfügbar.
Freie Bildungsressource?
Martin Ebner: Eines unserer größten Probleme am Lehr- und Lernsektor ist das Urheberrecht. Professorinnen und Professoren verfassen Skripten für ihre Lehre, die Studierenden bekommen sie zum Teil aber gar nicht digital oder dürfen sie nicht wie notwendig für den Lernprozess weiterverarbeiten. Wenn von einer Bildungsgesellschaft gesprochen wird, müssen wir aber zulassen, dass Lehr- und Lernmaterialien zugänglich sind und damit gearbeitet werden darf. Das ist der Ansatz der freien Bildungsressourcen. Meiner Meinung nach sind diese auch interessant für das Marketing der Universität. Was könnte besseres passieren, als wenn eine Professorin oder ein Professor der TU Wien mit meinen Unterlagen lehrt? Da habe ich schon gewonnen – vor allem an Reputation. Wichtig ist mir aber, dass man immer im Hinterkopf behält, dass die Studierenden nicht zu uns kommen, weil sie wissen, dass sie hier die besten Lehrmaterialien bekommen. Sie kommen zu uns, weil sie wissen, dass es hier ausgezeichnete Lehre gibt.
Blick in die Zukunft: Was wollen Sie mit Ihrer neuen OE erreichen?
Martin Ebner: Was sich für uns ändert ist, dass wir durch die unmittelbare Zuordnung zum Vizerektorat für Lehre einen anderen Stellenwert bekommen. Das hilft uns und dem gesamten Fachgebiet, das ist ein wichtiges Zeichen welches die TU Graz österreichweit setzt. Auch kann man sagen, dass E-Learning für sich tot ist, weil Lehre ohne Technologie schon gar nicht mehr existiert oder nur schwer möglich ist. Es einzeln, separiert zu betrachten, geht nicht mehr, es ist integraler Bestandteil moderner, qualitativ hochwertiger Lehre. Wir versuchen heute also am Puls der Zeit zu arbeiten, zu erkunden, was wirkt und wohin es geht. Mittelfristig, werden wir uns viel stärker in die Online-Welt hinein begeben müssen. Die Fragen die uns dabei beschäftigen: Wie viel Präsenzlehre muss noch sein? Gibt es andere, alternative Formen? Ich bin mir sicher, dass das Studium von Morgen sich dramatisch vom Studium von Heute unterscheiden wird. Wir werden eine hohe Virtualität und Flexibilisierung erleben. Gerade die großen amerikanischen Unis experimentieren da sehr stark und wir lernen quasi mit.