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… Entwicklungen, die die Logistik revolutionieren

27.06.2017 | Talking about ...

Von Christian Landschützer

TU Graz-Forscher Christian Landschützer erklärt, warum rund 250 Fachleute aus 15 Nationen in Graz zusammen kommen, um das Physical Internet, ein hypervernetztes Logistik-System, weiter zu entwickeln.

Florian Ehrentraut und Christian Landschützer (v.l.n.r.) vom Institut für Technische Logistik der TU Graz mit dem Prototyp einer modularen Transportbox aus dem Forschungsprojekt MODULUSHCA. Im EU-Forschungsprojekt arbeiteten alle Beteiligten daran, die Vision eines effizienten, flexiblen und nachhaltigen Transportsystems umzusetzen. © Christian Landschützer - TU Graz
Das Physical Internet – wieder nur ein neues Schlagwort, oder ein handfestes Konzept, das die Güterlogistik revolutionieren wird? Grob umrissen geht es im „Physical Internet“ (PI) um ein völlig neues System, um physische Objekte in Zukunft zu bewegen, zu lagern, zu sortieren und zu liefern. Statt wie im Internet Datenpakete um die Welt zu schicken, verschiebt das „Physical Internet“ reale Güter, verkapselt in Container unterschiedlichster Größe, rund um die Welt. In den letzten Jahren hat sich das „Physical Internet“ mehr und mehr zu einer weltweiten Forschungsinitiative entwickelt, die die Vorstellung von Logistik grundlegend verändern wird. Aber nicht nur die Wissenschaft ist involviert. Zahlreiche führende Unternehmen beteiligen sich am visionären Bild des PI.

Gemeinschaftsprojekt

In einer gemeinsamen europäischen Anstrengung, gebündelt in der EU-Technologieplattform ALICE, die das Thema international vorantreibt, wird Logistik grundlegend neu gedacht. Synchronisierte Lieferungen, ein gemeinsames Transportnetz der bislang konkurrierenden Händler und Logistikunternehmen – kurz: ein übergreifender Blick auf Logistik- und Lieferketten-Planung und -steuerung, sollen einen raschen, effizienten, flexiblen und umweltfreundlicheren Warenaustausch gewährleisten. Die 4. Internationale Physical Internet Konferenz (IPIC) 2017, die das Institut für Technische Logistik der TU Graz im Rahmen der Konferenzreihe „Logistikwerkstatt Graz“ in die steirische Landeshauptstatt geholt hat, wird den Fachaustausch zwischen Wissenschaft und Industrie vorantreiben.

Trends bewegen Logistik

Was aber macht das Thema so brisant, dass neben der Plattform ALICE auch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit), die Stadt Graz, das Land Steiermark, alle österreichischen Intralogistikhersteller und viele weitere international tätige Konzerne die Konferenz unterstützen und hochkarätige nationale und internationale Speaker dem Ruf nach Graz gefolgt sind?

Sieben große gesellschaftliche Trends und Strategien legen nahe, für ein wirklich integriertes System nachhaltiger und effizienter Logistik alle Kräfte zu bündeln:

  1. Politik und Gesellschaft bewegen sich auf eine kohlenstoffarme, energiesparende Kreislaufwirtschaft zu. Wenn Treibstoffverbrauch und Emissionen gesenkt werden sollen, sind Verteilungszentren großer Warenhändler nur für den eigenen Zweck sowie LKW und Container, die bisweilen halb leer unterwegs sind, nicht zielführend. Das bereits abgeschlossene <link http: www.modulushca.eu _blank int-link-external external link in new>EU-Forschungsprojekt MODULUSHCA, das federführend am Institut für Technische Logistik angesiedelt war, will der steigenden CO2-Belastung im Warenverkehr mit einem genormten, modularen Behältersystem, synchronisierten Lieferungen, einem gemeinsamen Transportnetz und gemeinsam genutzten Ladekapazitäten entgegenwirken.
  2. Soziale Netzwerke und elektronische Marktplätze führen vermehrt zu gemeinschaftlichen Wirtschaftsformen. Im Transportwesen bedingt dies neue Geschäftsmodelle wie das des Online-Vermittlungsdienstes „Uber“, der Transporte von Personen mit gemeinsamen Wegen koordiniert. Auch im Güterverkehr ermöglichen neue elektronische Systeme, Infrastrukturen gemeinsam zu nutzen.
  3. Demographisch steuert Europa auf eine alternde Gesellschaft zu. Damit verändern sich Mobilitätsmuster und Arbeitsbeanspruchung. Neue Services sind auch in der Personenbeförderung gefragt und ergonomische, automatisierte Logistiksysteme müssen den Menschen unterstützen.
  4. Der elektronische Handel in Europa wächst unglaublich schnell. Sowohl E-Commerce-Unternehmen als auch der traditionelle Handel benötigen vermehrt Transportsysteme in Städten, um Pakete zustellen zu können. In der Logistik gewinnt damit das Thema der „Letzten Meile“ an Bedeutung, das ist der Weg von den großen außerstädtischen Verteilerzentren bis zur Empfängerin oder zum Empfänger. Gerade Graz mit seiner historischen Innenstadt ist hier eine Herausforderung, der sich die Stadtregierung auch zusehends annimmt.
  5. E-Commerce und kundenindividuelle Produktherstellung führen dazu, dass kleinere Sendungsgrößen häufiger werden – eine große Herausforderung für eine effiziente und nachhaltige Logistik. Die hier operierenden Kurier-Express-Paket-Dienste (KEP) wiesen beispielsweise in Österreich 2016 im Business-to-Consumer-Bereich ein 10-prozentiges Wachstum auf – der Umsatz in Deutschland betrug 18,5 Milliarden Euro. Prognosen über 2020 hinaus sehen einen ungebrochenen Trend.
  6. Die Integration des Transportwesens unterstützt Strategien auf europäischer Ebene. Das „Verkehrsweißbuch“ der Europäischen Kommission von 2011 sieht bis 2050 einen einheitlichen europäischen Verkehrsraum vor. Kernziele sind unter anderen, die Mobilität zu erhöhen, Haupthindernisse in Kernregionen zu beseitigen und die Abhängigkeit von Erdölimporten zu reduzieren. Das steigende Frachtaufkommen, vornehmlich auf der Straße, ist darin nur mehr durch eine Effizienzsteigerung und nicht durch eine Erhöhung der Fahrten zu bewältigen.
  7. Die rasante Entwicklung neuer Technologien wie Industrie 4.0, 3D Druck, Automatisierung, Robotik, Internet der Dinge oder Big Data ist die Antwort auf eine sich verändernde Welt. All dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Logistik der Zukunft. Diese sind im „Physical Internet“ vor allem im Bereich Internet der Dinge und Big Data verortet.
Das „Physical Internet“ greift all diese Trends auf und wird Teil der Zukunft der europäischen Wirtschaft, Industrie und aller Europäerinnen und Europäer sein. Konkrete Umsetzungsschritte werden international unternommen und die öffentliche Hand unterstützt dies auf nationaler und europäischer Ebene. Die Vision PI 2050 ist somit am Weg, Wirklichkeit zu werden, wenngleich – besonders in den Unternehmen – noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist, gewachsene Systeme neu zu denken.
Die IPIC 2017 wird einen wesentlichen Beitrag zur Realisierung des „Physical Internet“ leisten – alles bleibt in Bewegung! Ich bin gespannt auf die Ergebnisse und werde sie in einem weiteren News+Stories-Beitrag gerne teilen.

Über Christian Landschützer

Christian Landschützer studierte Montanmaschinenwesen an der Montanuniversität Leoben. Im Jahr 2000 begann er sein Doktoratsstudium am Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme der TU Graz, das er im Jahr 2004 abschloss. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im Ausland ist er nun mit seiner Habilitation 2016 Professor für Fördertechnik am Institut für Technische Logistik.
Seine Ansätze in der Forschung sind:
  • Computer aided engineering (CAE) für die Technische Logistik
  • Entwicklung von Engineering-Methoden im Fach
  • Förder- und Materialflusstechnik Produktentwicklung
Durch mehr als 80 wissenschaftliche Arbeiten und über 35 nationale und internationale Forschungsprojekte erlangte er weitreichende Einblicke in führende Firmen der Branche und baute sich so ein internationales Forschungsnetzwerk auf.

Information

Die IPIC – International Physical Internet Conference – findet heuer erstmals in Österreich an der TU Graz statt. Von 4. bis 6. Juli 2017 stehen verschiedene Workshops mit über 90 Vortragenden und zehn spannende Key-Notes auf dem Programm. 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 15 Nationen diskutieren mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik über die Zukunft der Güterlogistik. Hier geht es zur Konferenzwebsite.

Kontakt

Christian LANDSCHÜTZER
Assoc.Prof. DI Dr.techn.
Institut für Technische Logistik, TU Graz
Kopernikusgasse 24/I
8010 Graz, Austria
Tel.: +43 316 873 7325
landschuetzer@tugraz.at
Web:
www.itl.tugraz.at