Zum Hauptinhalt springen
TU Graz/ TU Graz/ Services/ News+Stories/

Der Zufall als Prognosegröße

02.03.2017 | Face to face

Von Ute Wiedner

TU Graz-Bauwirtschafter Markus Kummer beschäftigt sich mit Unsicherheiten bei der Kalkulation von Baukosten und Bauzeiten. Dabei spielen Chancen, Risiken und der Zufall eine Rolle.

Bauwirtschafter Markus Kummer rechnet mit dem Zufall. Am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der TU Graz wendet er die Methode der Monte-Carlo-Simulation auf bauwirtschaftliche Fragen an.
Als Schüler an einer Kärntner HTL brachte ein Lehrer Markus Kummer auf die Idee, an die Universität zu gehen. Heute ist Kummer Universitäts-Projektassistent am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft und erforscht, wie unsichere Faktoren wie Umweltbedingungen oder Arbeitsumfeld systematisch in baubetriebliche und bauwirtschaftliche Betrachtungen mit einbezogen werden können. Immer mit dem Ziel, Produktivitätsverluste realistisch einzuschätzen oder zu vermeiden.

News+Stories: In Ihrer Dissertation geht es um Unsicherheiten in der Bauplanung. Können Sie den Grundgendanken erklären?

Markus Kummer: Ich habe mich in meiner Doktorarbeit mit Baukosten und Bauzeiten von Stahlbetonarbeiten für den Hochbau beschäftigt. Stahlbetonbauteile werden seit Jahren sehr ähnlich hergestellt. Man würde vermuten, dass mittlerweile alle Berechnungsgrößen wie Aufwandswerte, das heißt das Verhältnis zwischen Lohnstunden und hergestellter Mengeneinheit, Geräte- und Stoffeinsatz etc. genau bekannt sein müssten, um die Bauzeit und die Baukosten zum Beispiel für eine Stahlbetonwand berechnen zu können.
Im Grunde kennen wir die relevanten Größen auch. Das Problem ist nur, dass die Umstände, unter denen eine Betonwand hergestellt wird, immer andere sind. Das heißt konkret, ich habe immer andere Projektbeteiligte, ich habe ein unterschiedliches Umfeld, die Witterung ändert sich, ich habe unterschiedliche Teams verschiedener Firmen, die zusammenwirken, ich habe manchmal eine bessere und manchmal eine schlechtere Planung und Ausschreibung. Alles Faktoren, die sich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf die Produktivität auswirken.

In der Umsetzung ist Betonwand also nicht gleich Betonwand?

Markus Kummer: Genau. Menschliche Faktoren, Arbeitsumfeld und Umweltbedingungen machen den Unterschied. Das alles kann zu Produktivitätsverlusten führen, die in den Betrachtungen zu berücksichtigt sind. Wenn wir Baukosten und Bauzeiten berechnen, treffen wir Aussagen darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit beeinflussende Ereignisse eintreten werden – immer ausgehend vom aktuellen Informationsstand. Das Ziel meiner Dissertation war, Unsicherheiten, die noch dazu wechselseitig aufeinander einwirken, durch Verteilungsfunktionen systematisch abzubilden.

Dabei gibt es Chancen und Risiken?

Markus Kummer: Wenn wir planen, ist der Blick in die Zukunft von Unsicherheiten geprägt, die eine positive oder negative Zielabweichung zur Folge haben können. Die negative Abweichung ist als Risiko definiert, die positive als Chance. Wie sich Unsicherheiten zum Beispiel auf die Produktivität auswirken, hängt aber immer davon ab, womit man gerechnet hat, das heißt welche Basis ich für meine Entscheidungen wähle. Dementsprechend sind die Chancen oder die Risiken höher.

Am Ende weiß ich, in welchem Schwankungsbereich sich ein Ergebnis bewegen kann – und mit welcher Wahrscheinlichkeit.

Ist das Einplanen von Unsicherheiten ein neuer Ansatz in Ihrem Forschungsbereich?

Markus Kummer: Überlegungen dazu gibt es schon länger. Konkret habe ich auf die Forschungsergebnisse von Christian Hofstadler zur Produktivität und zu Produktivitätsverlusten aufgebaut und nichtlineare Zusammenhänge mit der systematischen Berücksichtigung von Unsicherheiten kombiniert. Wenn ich in der Schulmathematik etwas durchrechne, komme ich am Ende zu einem Ergebnis, das stimmt oder eben nicht stimmt. In der Praxis ist die Frage, von welchen Zahlen ich ausgehe. Das Beispiel der Stahlbetonwand zeigt, dass ich mit Größen rechne, die innerhalb einer gewissen Bandbreite schwanken. Dementsprechend schwanken dann zum Schluss auch die Ergebnisse. Um zu realitätsnäheren Ergebnissen zu kommen, berücksichtige ich Unsicherheiten – basierend auf Erfahrungen aus der Praxis – von Beginn an. Dafür wende ich die Monte-Carlo-Simulation an. Am Ende weiß ich, in welchem Schwankungsbereich sich ein Ergebnis bewegen kann – und mit welcher Wahrscheinlichkeit.

Was bedeutet Monte-Carlo-Simulation? Mathematik als Glücksspiel?

Markus Kummer: Da gibt es tatsächlich einen Zusammenhang. Die Monte-Carlo-Methode verwendet zur Lösung mathematischer Fragestellungen Zufallszahlen. Diese Zahlen werden heute mit Zufallsgeneratoren am Rechner erzeugt. Früher musste man sie mechanisch aus einer großen Zahl gleichartiger Zufallsexperimente generieren. Und in der Spielbank von Monte Carlo wurden regelmäßig die Roulette-Ergebnisse öffentlich ausgehängt – quasi spielerisch gewonnene Zufallszahlen. Sie bilden die Basis für Methoden, die auf solchen Zahlen aufbauen.
Markus Kummer an seinem Computerarbeitsplatz am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft.
Hier verbringt Markus Kummer den Großteil seines Arbeitsalltags als Universitäts-Projektassistent. Auch die Lehre will am PC geplant sein, bevor es in den Hörsaal geht.

Wie gehen Sie privat mit Unsicherheiten um?

Markus Kummer: Das ist schwierig (überlegt). Ich würde mich schon als sehr reflektierten Typen bezeichnen – zwar sehr planend und strukturiert, aber doch wissend, dass es auch Unsicherheiten gibt. Die kalkuliere ich aber ein, soweit man sie kalkulieren kann, oder integriere sie zumindest in den Entscheidungsfindungsprozess.

Wie kamen Sie dazu, mit Unsicherheiten zu rechnen?

Markus Kummer: Bereits im Masterstudium „Wirtschaftsingenieurwesen-Bauwesen“ habe ich mit einem Kollegen an einem internationalen Studierendenwettbewerb des Schalungsherstellers PERI sehr erfolgreich teilgenommen. Wir hatten ein ganzes Projekt samt Kalkulationen, Ausschreibungen und Planungen aufzusetzen. Dabei mussten wir für bestimmte Zahlen auf Literatur-, Erfahrungs- und/oder Expertenwerte zurückgreifen. Mein Aha-Erlebnis war, dass diese Werte immer eine gewisse Streuung hatten. Und dann gab es noch einen Vortrag zum Thema Risikomanagement an der TU Graz, in dem Zufallssimulationen ein Thema waren.

Und danach hat Sie die Monte-Carlo-Simulation nicht mehr losgelassen?

Markus Kummer: Christian Hofstadler, mein Diplomarbeitsbetreuer und Leiter des Instituts für Baubetrieb und Bauwirtschaft der TU Graz, hatte die Anwendung von Simulationen auf bauwirtschaftliche Fragestellungen bereits in der Praxis vertieft untersucht und angewendet, seine Ergebnisse auch schon in mehreren Publikationen festgehalten und wollte das Thema weiter vorantreiben. Ich kam zum perfekten Zeitpunkt zu ihm. Nicht nur, aber auch durch meine Diplomarbeit wurde klar, wie groß das Anwendungsgebiet solcher Simulationen in der Bauwirtschaft ist. Es beschränkt sich aber nicht nur auf wirtschaftliche Themen sondern geht ganz weit in baubetriebliche Fragestellungen wie die Logistik und den Bauablauf. So begründet sich das Angebot von Christian Hofstadler, das Thema in meiner Dissertation noch weiter zu vertiefen.
Grafik mit 7 schematisierten „F“ untertitelt mit Finden, Forschen, Fordern, Fördern, Flow, Freude, Feedback.
Institutsleiter Christian Hofstadler fördert und fordert seine Dissertantinnen und Dissertanten nach dem Prinzip der „7F“: Finden, Forschen, Fordern, Fördern, Flow, Freude, Feedback. Goldrichtig für Markus Kummer: Nach einer mehrfach preisgekrönten Dissertation bleibt alles im Fluss: Forschungsprojekte, Veröffentlichungen und neue Themen in der Lehre.

Woran forschen Sie aktuell?

Markus Kummer: Aktuell sind Christian Hofstadler und ich auch in anderen Forschungsprojekten wie zum Beispiel UNAB oder QUICKWAY involviert. Im ersten Projekt geht es darum, Nachhaltigkeitsanforderungen im Planungs- und Projektsteuerungsprozess systemisch zu betrachten und ein Bewertungssystem unter Berücksichtigung von Unsicherheiten zu entwickeln. Beim zweiten Projekt haben wir Lebenszykluskostenberechnungen für ein neuartiges Verkehrssystem – Hochfahrwege aus ultrahochfestem Beton – mit Hilfe von Monte-Carlo-Simulationen durchgeführt.

Sie wirken auch in der Lehre mit?

Markus Kummer: Ja, als Universitäts-Projektassistent betreue ich die Übungen zu den Lehrveranstaltungen „Schalungs- und Rüsttechnik“, „Bauablaufplanung und Logistik“ sowie „Chancen- und Risikomanagement in der Bauwirtschaft“. Die Chancen- und Risikomanagement-Vorlesung und -Übung haben Christian Hofstadler und ich neu im Zuge unserer aktuellen Forschung kreiert. Sie startet im Sommersemester. Wir sind schon sehr gespannt, wie das angenommen wird.

Für die Studierenden sind Wettbewerbe Praxis pur. Obwohl der Einsatz so intensiv ist, sind die Rückmeldungen sehr positiv.

Sie haben 2016 nicht nur selbst 2 Preise in Deutschland gewonnen, sondern mit Christian Hofstadler ein Studierendenteam zum Sieg beim Wettbewerb der Firma Doka geführt?

Markus Kummer: Wir versuchen jedes Jahr, ein Team für die Wettbewerbe der Schalungs- und Gerüstehersteller Doka und PERI zusammenzustellen. Die Wettbewerbe werden abwechselnd von den beiden Firmen ausgeschrieben – es handelt sich dabei um die beiden Weltmarktführer in diesem Segment. Für die Studierenden ist die Teilnahme zwar mehr Aufwand, als sie für das Studium angerechnet bekommen, dafür sind Wettbewerbe Praxis pur. Die Teilnehmenden bekommen die Pläne eines realisierten Projektes, müssen dann Schalungspläne zeichnen, Ausschreibungen und Kalkulationen erarbeiten sowie den Bauablauf und die Logistik für die Bauausführung planen. Obwohl der Einsatz so intensiv ist, sind die Rückmeldungen der Studierenden sehr positiv – umso mehr, wenn es gelingt, den ersten Platz zu erreichen, was 2016 zum ersten Mal gelungen ist.

Information

Markus Kummer studierte „Wirtschaftsingenieurwesen-Bauwesen“ an der TU Graz. Thema seiner Masterarbeit war der „Einsatz der Monte-Carlo Simulation zur Berechnung von Baukosten und Bauzeit“. Seit 2013 forscht er als Universitäts-Projektassistent am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft und wirkt seit 2016 auch in der Lehre mit. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit Nichtlinearitäten und Unsicherheiten bei der Ermittlung von Baukosten und Bauzeiten. Die Dissertation wurde 2016 mit dem gif Immobilien-Forschungspreis sowie mit dem Förderpreis des DVP ausgezeichnet.

Kontakt

Markus KUMMER
Dipl.-Ing. Dr.techn.
Universitäts-Projektassistent
Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft
Lessingstraße 25/II
8010 Graz
Tel.: + 43 316 873 6751
markus.kummer@tugraz.at