News + Stories: Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) sieht vor, dass in Österreich bis 2030 im Vergleich zu 2020 zusätzlich 11 Terrawattstunden (TWh) an Strom jährlich mittels PV-Anlagen realisiert werden. Das wären insgesamt 13 TWh. Ist das ein realistisches Ziel?
Sonja Wogrin: Ein klares JA! Derzeit sind wir auf einem sehr guten Weg, die Ziele des EAG zu erreichen. Mit Stand Ende Juli 2024 haben wir bereits rund 7,5 Gigawatt-Peak (GWp) Photovoltaikleistung installiert, die rund 7,5 TWh pro Jahr erzeugt. Dies entspricht etwa 57% des EAG Ziels für 2030.
Wie viel TWh an PV-Strom im Jahr wären abgesehen vom EAG wünschenswert oder mit aktueller Technik theoretisch möglich?
Sonja Wogrin: Der österreichische Stromverbrauch wird bis 2040 stark ansteigen und sich möglicherweise fast verdoppeln. Je nach Strombedarf im Jahr 2030 und verfügbaren Flexibilitäten im Verbrauch und in der Speicherung kann die optimale Energie aus PV variieren. Das Potenzial in Österreich ist groß. Einige Studien gehen allein für Gebäude, Deponien und Verkehrsflächen von einem physikalisch-theoretischen Potenzial von knapp 60 TWh aus, das realistische Potenzial dieser Flächen liegt hingegen bei etwa 16 TWh. Hinzu kommen noch Freiflächenanlagen, wobei hier die Flächennutzung zu berücksichtigen ist. Agri-PV bietet hier einen guten Kompromiss zwischen Energieerzeugung und landwirtschaftlicher Nutzung.
Dieses Interview mit Sonja Wogrin und Alexander Konrad ist Teil des TU Graz Dossiers „Soak up the Sun“. Weitere Dossiers finden Sie unter www.tugraz.at/go/dossiers.
Man bekommt jetzt schon oft zu lesen, dass PV-Anlagen wegen Netzengpässen nicht ans Netz angeschlossen werden können. Können Sie erklären, worin hier genau die Probleme liegen?
Alexander Konrad: Das österreichische Stromnetz wurde im Wesentlichen nach dem 2. Weltkrieg unter der Annahme aufgebaut, dass die elektrische Energie in großen zentralen Kraftwerken erzeugt, über Übertragungsleitungen in die einzelnen Regionen und von dort über Verteilnetze zu den Kunden transportiert wird. Alle diese Netze wurden daher in der Regel für den maximal zu erwartenden Verbrauch im jeweiligen Netzgebiet ausgelegt. Durch die Transformation von großen zentralen Erzeugern hin zu kleinen dezentralen Erzeugern ändert sich nun die Richtung des Energieflusses und aus den vergleichsweisen schwachen Netzen (z.B. Ortsnetze) wird nicht nur der Eigenverbrauch gedeckt, sondern auch Energie in die höheren Netzebenen zurückgespeist. Die damit verbundene Leistung übersteigt jedoch an einigen Stellen bereits die Leistung, für die das Netz ausgelegt wurde. Neben dem Problem der Leitungskapazität (mögliche Übertragungsleistung über eine Leitung) stellt in vielen Fällen auch die Einhaltung der Spannungsgrenzen ein Problem dar. Je mehr Leistung über eine Leitung übertragen werden kann, desto größer sind die Verluste, die mit Spannungsabfällen einhergehen. Damit alle Erzeugungseinheiten, aber auch Verbraucher, jederzeit sicher betrieben werden können, ist die Einhaltung dieser Grenzen von entscheidender Bedeutung.
Wie muss der Ausbau des Netzes geplant werden, damit bei weiterem PV-Ausbau das Problem nicht noch größer wird?
Sonja Wogrin: Netzausbau wird in fast allen Regionen und auf allen Spannungsebenen notwendig sein, von den großen Übertragungsleitungen bis zu den Ortsnetzen. Die große Frage ist, um wie viel diese Netze verstärkt werden müssen. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Stromrechnung aller Kunden, da die Investitionen in den Netzausbau über die Netzentgelte rückfinanziert werden. Bei kleineren Anlagen könnte auch eine Begrenzung der netzdienlichen Leistung, die nur wenige Stunden im Jahr zum Einsatz kommt, den Netzausbaubedarf deutlich reduzieren. Je größer und vor allem je näher die Anlagen an den Umspannwerken errichtet werden, desto geringer kann der Netzausbau ausfallen.
Bei Strom aus erneuerbaren Quellen im Allgemeinen und jenem aus PV im Speziellen besteht immer auch die Frage, wie sich Überschüsse aus starken Erzeugungszeiträumen für Phasen mit geringerer Erzeugung speichern lassen. Wie sähe für Sie hier die passende Vorgangsweise aus?
Alexander Konrad: Gerade bei den Speichern wird ein breiter Mix notwendig sein. Sei es zum Ausgleich kurzfristiger Erzeugungsschwankungen und zur Netzregelung, sei es zur Überbrückung von Stunden und Tagen mit geringer erneuerbarer Erzeugung. Bis hin zur Speicherung von Überschüssen aus den Sommermonaten für den Winter. Neben der Erzeugung aus PV und der Speicherung ist auch die Diversifizierung der Erzeugung wichtig. Durch einen verstärkten Ausbau der Windkraft, die in den tendenziell schwachen PV-Jahreshälften mehr erzeugt, kann hier die notwendige Speicherenergiemenge reduziert werden. Mit Hilfe von Energiesystem-Optimierungsmodellen kann der optimale Mix dieser Speicher bestimmt werden.
Abhängig von den Witterungsbedingungen schwankt die Stromproduktion aus Windkraft und Photovoltaik erheblich, worauf Netzbetreiber kontinuierlich reagieren müssen. Wie genau kann die Produktion aus Erneuerbaren derzeit prognostiziert und gemessen werden? Braucht es in diesem Bereich technologische Fortschritte?
Alexander Konrad: Die Vorhersage der erneuerbaren Energien hängt sehr stark von der Wettervorhersage ab, die natürlich langfristig schwer zu prognostizieren ist, aber kurzfristig besser funktioniert. Durch den Klimawandel werden diese Vorhersagen aber immer schwieriger. Umso wichtiger wird es sein, flexible Elemente wie Speicher in das System einzubinden, die Schwankungen ausgleichen können.
Die Dekarbonisierung des Elektrizitätssystems ist einer der zentralen Punkte Ihrer Forschung. Wie gut sind wir hier auf dem Weg und wie viel kann die Sonnenenergie hierzu beitragen?
Sonja Wogrin: In unserer Forschung beschäftigen wir uns mit dem (Elektrizitäts-)Energiesystem als Ganzes, nicht nur mit der Dekarbonisierung. Solarenergie ist sicherlich ein wichtiger Teil davon, aber es braucht einen guten Mix mit anderen Technologien wie Wind- und Wasserkraft sowie Speichern. Der große Vorteil der PV ist, dass praktisch jeder auf seinem Dach oder Balkon (Balkonkraftwerk) zum Energieerzeuger werden kann, und damit einen Beitrag zur Energiewende und zur Dekarbonisierung leisten kann. Im Elektrizitätssektor ist Österreich bereits sehr weit, was vor allem auf unsere privilegierte Lage bei der Nutzung der Wasserkraft zurückzuführen ist. Betrachtet man den Gesamtenergiebedarf, so liegt der Anteil der erneuerbaren Energien im Jahr 2023 nur bei knapp über 35%. Um hier eine vollständige Dekarbonisierung des Gesamtenergiebedarfs (inkl. Industrie, Verkehr, Wärme etc.) zu erreichen, sind noch große Anstrengungen notwendig.
Die Erde erreicht jeden Tag eine ungeheuer große Menge an Sonnenenergie, die wir aber nur zu einem sehr kleinen Teil nutzbar machen können, beispielsweise mit PV- oder Solaranlagen. Welche Energieinnovationen können uns dabei helfen, diese Energie noch besser zu nutzen?
Alexander Konrad: Eine vollständige Dekarbonisierung ist mit der heute bekannten Technik möglich. Innovationsbedarf besteht jedoch noch bei der Vernetzung aller Akteure und der damit verbundenen Flexibilisierung des Verbrauchs. Durch eine intelligente Vernetzung könnte z.B. in Zeiten von Erzeugungsspitzen der Verbrauch erhöht oder es könnten auch Erzeugungsanlagen gedrosselt werden, um eine Überlastung der Netze zu vermeiden. Eine zentrale Rolle wird in Zukunft aber auch die effiziente und kostengünstige Speicherung von Energie spielen.
Es ist bereits heute möglich, eine Anlage zu betreiben, ohne auch nur eine einzige Kilowattstunde aus dem Netz zu beziehen
Wenn ich mir auf mein Hausdach eine PV-Anlage baue und dazu einen eigenen Speicher anschaffe, wie viel Autarkie kann ich damit erreichen? Könnte ich theoretisch ganz ohne externen Versorger auskommen?
Sonja Wogrin: Es ist bereits heute möglich, eine Anlage zu betreiben, ohne auch nur eine einzige Kilowattstunde (kWh) aus dem Netz zu beziehen. Dies erfordert allerdings derzeit noch sehr hohe Investitionen, deren Wirtschaftlichkeit in Frage gestellt werden muss. Mit einer „normalen“ PV-Anlage und marktüblichen Batteriespeichern lassen sich aber auch mit Wärmepumpe und Elektroauto bereits Autarkiewerte von ca. 80% erreichen.
Und wie groß könnte der Anteil von Sonnenenergie an der Gesamtstromproduktion sein? Wäre alleine damit theoretisch eine autarke Versorgung möglich?
Alexander Konrad: Autarkie im Sinne von völliger Unabhängigkeit ist mit Solarenergie allein nicht zu erreichen und für das Stromnetz auch nicht sinnvoll. Das österreichische Stromnetz ist Teil des europäischen Verbundnetzes, das gut und wichtig ist. Der mögliche und sinnvolle Anteil der Solarenergie wird wesentlich davon abhängen, wie gut es gelingt, die Energie in den Stunden mit viel Sonnenenergie direkt zu nutzen, zu speichern, in andere nutzbare Energieformen (z.B. Wasserstoff, Wärme, etc.) umzuwandeln oder zu exportieren. Wobei der Export nur begrenzt möglich sein wird, da in diesen Stunden auch in unseren Nachbarländern die Sonne scheint und diese ebenfalls mit ihren Überschüssen umgehen müssen.
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