Die österreichischen Handbiker Thomas Frühwirth und Walter Ablinger gewannen 2016 bei den Paralympics in Rio de Janeiro Silbermedaillen. Zuvor waren sie am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz zu Gast, um sich selbst und ihre Bikes aerodynamischen Tests zu unterziehen. „Das ganze Jahr über kommen Sportlerinnen und Sportler zu uns – vor allem aus dem alpinen Wintersport, wie die österreichischen Rodel- oder Bobmannschaften. Und auch Skispringer wurden bereits intensiv untersucht“, erklärt Walter Meile, der am Institut für die aerodynamische Forschung zuständig ist.
Für aerodynamische Experimente steht an der TU Graz der Niedergeschwindigkeits-Windkanal zur Verfügung, der mit drei Gebläsen Windgeschwindigkeiten von bis zu 145 km/h erlaubt. Die spezielle Konstruktion sichert eine zeitlich konstante und über den Querschnitt der Messstrecke sehr gleichförmige Strömung.
Walter Meile misst, wie sich Luftwiderstand und Auftrieb ändern, wenn die Sportlerinnen und Sportler zunächst ihre übliche Körperhaltung einnehmen und diese anschließend geringfügig variieren. Oder auch wie sich die aerodynamischen Eigenschaften ändern, wenn das Material der Sportgeräte adaptiert wird. Die Forschenden am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz unter der Leitung von Günter Brenn können den Sportlerinnen und Sportlern bereits direkt nach den Windkanal-Tests ein klares Feedback geben, damit sie sich die optimierte Position und Haltung unmittelbar einprägen können.
Messstrecke des Niedergeschwindigkeits-Windkanals am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz.
Schematische Darstellung des Niedergeschwindigkeits-Windkanals in Göttinger Bauart mit geschlossener Rückführung: Die Luft wird von den Gebläsen über Umlenkecken zur Düse und in die Messstrecke gebracht, strömt danach in einen Auffangtrichter und wird wieder den Gebläsen zugeführt.
Automobilaerodynamik
Der Niedergeschwindigkeits-Windkanal ist jedoch nicht nur für sportaerodynamische Untersuchungen reserviert. Auch für die Fahrzeugentwicklung sind Messungen in diesem Windkanal wichtig. „Die Aerodynamik beeinflusst viele Bereiche eines Fahrzeuges – vom Design, der Effizienz und der Fahrdynamik bis hin zur Fahrstabilität bei Seitenwind oder Überholvorgängen“, erklärt Walter Meile. Um die zugrundeliegenden Strömungsphänomene realer Fahrzeuge zu verstehen, arbeitet die Forschungsgruppe Aerodynamik am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz beispielsweise auch mit generischen Modellen wie dem Ahmed-Körper.
Der Ahmed-Körper ist ein stark vereinfachtes Modell eines Fahrzeugs, das gut geeignet ist, um speziell eine wesentliche aerodynamische Eigenschaft eines Fahrzeugs zu untersuchen: den Einfluss der Heckschräge auf den Fahrzeugwiderstand.
Eine aktuelle Publikation des Instituts zu diesem Thema ist im International Journal of Heat and Fluid Flow erschienen. Weitere Ergebnisse wurden auf der 26th AIAA Applied Aerodynamics Conference sowie der Conference on Modelling Fluid Flow (CMFF‘12) vorgetragen. Ergebnisse sportwissenschaftlicher Untersuchungen zum Schispringen wurden in Experiments in Fluids publiziert.
Bauwerksaerodynamik
Der zweite Windkanal am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz - der sogenannte Grenzschicht-Windkanal - wurde speziell für die Bauwerksaerodynamik entwickelt, um das Windprofil in der atmosphärischen Grenzschicht optimal nachbilden zu können. Walter Meile untersucht hier mit seinem Team Modelle von Bauwerken wie etwa Hochhäusern. „Unser Ziel ist es zu beurteilen, ob die Bauwerke in Originalgröße fit für hohe Windgeschwindigkeiten sind“, so Walter Meile. Um die Windströmung richtig simulieren zu können, muss die gesamte nähere Umgebung modelliert werden. Durch einen Drehtisch kann das Modell verschiedenen Windrichtungen ausgesetzt werden.
Der Grenzschicht-Windkanal mit geschlossener Messstrecke wurde speziell für Untersuchungen an Gebäuden entwickelt, bei denen die Nachbildung der atmosphärischen Grenzschicht erforderlich ist. Durch einen Drehtisch kann das Modell verdreht und somit verschiedenen Windrichtungen ausgesetzt werden.
Der Grenzschichtkanal ist wie der Niedergeschwindigkeits-Windkanal vom Göttinger Typ. Er unterscheidet sich im Wesentlichen durch eine geschlossene Messstrecke und die vorgelagerte Anlaufstrecke, in der mittels diverser Einbauten das atmosphärische Windprofil entsprechend den natürlichen Geländekategorien nachgebildet wird.
Die Anlaufstrecke im Grenzschicht-Windkanal: Am Düsenaustritt wird das Windprofil durch ein Rundstabgitter und eine Stolperleiste grob stimuliert. Der Boden der Messstrecke kann mit Rauhigkeitselementen verschiedener Größe und Anordnung bestückt werden. So können exponentielle Windgeschwindigkeitsprofile über den größten Teil der Messstreckenhöhe nachgebildet werden.
Auch natürliche Lüftungskonzepte für Wohngebäude können durch Experimente im Grenzschicht-Windkanal erforscht werden. Aktuell kooperiert das Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung mit dem Institut für Architekturtechnologie der TU Graz in einem Forschungsprojekt, bei dem ein Fassadenöffnungssystem entwickelt wird. Das System soll verunreinigte Luft filtern und gleichzeitig die Anforderungen an eine gut funktionierende natürliche Belüftung in Wohnhäusern erfüllen. Die experimentellen Untersuchungen im Windkanal werden durch numerische Strömungssimulationen unterstützt.
Ergebnisse eines Forschungsprojektes zum Thema natürliche Lüftung von Wohngebäuden sind in der Fachzeitschrift Energy and Buildings publiziert.