Das Coronavirus hält die Welt in Atem. Welche Rolle das Mikrobiom für diese und andere Pandemien spielt, erklärt Umweltbiotechnologin Gabriele Berg, die Leiterin des Instituts für Umweltbiotechnologie an der TU Graz.
Das Mikrobiom setzt sich aus der Mikrobiota und ihrem umgebenden Lebensraum zusammen. Alle lebenden Mikroorganismen, Bakterien, Archeen (Urbakterien), Pilze, Algen und Protisten – eine bestimmte Gruppe ein- bis mehrzelliger Lebewesen – bilden die Mikrobiota, während die Viren nicht darin leben, aber dem umgebenden Lebensraum angehören. Ein gesundes Mikrobiom ist divers, gleichmäßig strukturiert und bildet ein ausbalanciertes funktionelles Netzwerk. Darin sind auch viele potenzielle Krankheitserreger enthalten, die hier wichtige Funktionen erfüllen: Viren sind beispielsweise wichtige Dirigenten der Evolution und der Koexistenz.
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Gabriele Berg erklärt in rund drei Minuten die Funktion von Mikrobiomen.
Alle Pandemien haben ihren Ursprung in Mikrobiomen
Wenn die Balance im Mikrobiom gestört wird, kommt es zu Krankheitsausbrüchen – dann vermehrt sich ein Mikroorganismus mehr als die anderen. Ob sich daraus Krankheiten, Epidemien oder Pandemien entwickeln, ist von vielen weiteren Faktoren abhängig, zum Beispiel von der Virulenz des Erregers, das heißt dessen Fähigkeit zur Ansteckung, und der Empfindlichkeit des Wirtes. Krankheiten können in vielen Mikrobiomen ihren Ursprung haben, sie können von anderen Menschen, Tieren, Pflanzen oder durch Wasser übertragen werden. Die Vernetzung und Bedeutung der Mikrobiome hat zum "one health"-Ansatz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geführt, in dem Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften fächerübergreifend zusammenwirken: Mensch, Tier und Umwelt müssen gesund sein, damit unsere Gesundheit gewährleistet ist.
Im Anthropozän ist die Gefahr für Pandemien erhöht
Globalisierung, Urbanisierung, Überbevölkerung und intensive Landwirtschaft haben dazu geführt, dass wir heute vom Anthropozän sprechen, dem Zeitalter des Menschen. Leider haben wir dabei nicht nur unsere Flora und Fauna erheblich dezimiert, sondern auch auf die Mikrobiome vergessen. Die biologische Vielfalt, die normalerweise als „Krankenversicherung“ gegen Pandemien agiert, wurde drastisch minimiert. Hier braucht es dringend ein Umdenken, wenn wir unsere Umwelt wieder ins Gleichgewicht bringen wollen! Der Anstieg globaler Transporte, der globale Austausch von Lebensmitteln und anderen Produkten, die schleichende Kontamination der Umwelt mit Chemikalien, der achtlose Umgang mit Plastikmüll: All diese Entwicklungen und das Zusammenwirken dieser Faktoren fördern unbeabsichtigt Krankheitsausbrüche von Viren, Antibiotika-resistenten Keimen und Pilzen.
Mikrobiom als Schatzkiste für neue Wirkstoffe?
Hygiene und Antibiotika waren im letzten Jahrhundert ausreichende Schutzschilder. Heute stellen uns multi-resistente Erreger und unbekannte Viren vor neue Herausforderungen. Mikrobiome, die wir erst seit kurzem überhaupt erforschen können, liefern eine Lösung dazu: Sie stellen Schatztruhen für neue Antibiotika dar, denn Mikroorganismen produzieren diese, um sich gegenseitig in Balance zu halten. Gegenwärtig kennen wir nur einen ganz kleinen Teil von Mikrobiomen und doch erfahren wir in aktuellen Forschungsprojekten wie zum Beispiel „Mikrobiom Mining“ immer mehr über die kleinsten Mitbewohner, die für unsere Gesundheit verantwortlich sind.“
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Derzeit arbeitet Gabriele Berg daran, eine gemeinsame Definition für Mikrobiome zu finden, damit sich die internationale Forschung besser vernetzen kann. Die jüngst erschienene Open-Access-Publikation Microbiome definition re-visited: old concepts and new challenges zu diesem Thema finden Sie in Springer Nature.