MIGMAS: die Materialanalysestation fürs All
Neben den neun medizinischen Experimenten standen auch physikalische Experimente am Programm – hier war unter anderem das Team der TU Graz stark gefragt. „MIGMAS“ hieß das Experiment, das besonders Robert Finsterbusch vom heutigen Institut für Kommunikationsnetze und Satellitenkommunikation forderte. Es galt, eine neuartige und vor allem weltraumtaugliche Materialanalysestation zu entwickeln. Robert Finsterbusch erklärt: „Mikrometeoriteneinschläge, Eigenatmosphäre einer Raumstation und Weltraumstrahlung führen zu veränderten physikalischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften von Materialien. Es war damals fast nicht möglich und ist auch heute noch sehr teuer, Materialproben aus dem All unbeschadet und kontaminationsfrei zurück auf die Erde zu bringen. Oft sind außerdem Materialanalysen direkt vor Ort in der Raumstation nötig, beispielsweise um den Zustand der Außenhaut eines Raumschiffes zu beurteilen. Wir mussten also eine leichte, robuste, zuverlässige und einfach bedienbare Materialanalysestation für die chemische Diagnose der durch die Weltraumkorrosion hervorgerufenen Materialveränderungen entwickeln – keine leichte Aufgabe, aber wir haben das ganz gut hinbekommen“. Das Ionenmikroskop MIGMAS erfüllte alle Anforderungen und funktioniert wie folgt: Ein fokussierter Ionenstrahl trifft die Probenoberfläche und rastert diese ab. Mit der Messung des Ionenstromes ist ein zweidimensionales Abbild der Verteilung bestimmter Elemente in der Probe möglich. Das Team rund um Robert Finsterbusch war für die gesamte Kontroll- und Steuerungselektronik mit Datenerfassung und Bildgebung zuständig, das Team vom Forschungszentrum Seibersdorf für den Ionenemitter und die Ionenoptik. „Wir haben gezeigt, dass ein so komplexes Präzisionsinstrument wie ein Ionenmikroskop unbeschädigt in die Umlaufbahn gebracht werden kann und dort einwandfrei funktioniert. Franz Viehböck hatte keinerlei Schwierigkeiten mit der Bedienung von MIGMAS.“, sagt Robert Finsterbusch.Im den Folgejahren nach AustroMir wurden weitere regelmäßige Experimenteinschaltungen der Apparatur MIGMAS durch russische Kosmonauten durchgeführt. Außerdem war die Apparatur bei den ESA-Missionen EUROMIR-94 und EUROMIT-95 im Einsatz. Ein Nachfolgemodelle von MIGMAS mit einem Massenspektrometer wurde für die damals geplante MIR 2 Weltraumstation entwickelt, gebaut und den russischen Partnern übergeben.
Russisches Vertrauen
Mit der Rückkehr Viehböcks zur Erde am 10. Oktober war die Zusammenarbeit Finsterbuschs mit der Raumstation Mir noch nicht zu Ende: MIGMAS wurde bis Juli 1992 insgesamt fünfmal an Bord aktiviert, und es mussten sogar Ersatzteile zur Raumstation gebracht werden. Dazu erinnert sich Finsterbusch: „Im Elektronikblock vom MIGMAS waren auch Hochspannungsmodule untergebracht. Eines davon musste ausgetauscht werden. Was heute unvorstellbar ist, war damals aufgrund der extrem vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem russischen Team fast selbstverständlich: Ein Kollege aus Russland kam nach Graz, hat sich das Ersatzmodul angesehen und sich von dessen Funktionstüchtigkeit überzeugt, das Teil eingesteckt und es ohne weitere Tests und Untersuchungen zur Mir geschickt.“Grazer Technologie ermöglicht Verbindung ins All
Finsterbusch ist nicht der einzige an der TU Graz mit lebhaften Erinnerungen an AustroMir: Otto Koudelka, „Vater“ des ersten österreichischen Satelliten im All TUGSAT-1, war damals für das Teilprojekt VIDEOMIR zuständig, das erstmals die vernetzte Video-, Ton- und Datenübertragung mehrerer Standorte auf der Erde und im All ermöglichte und damit sozusagen ein Vorläufer von Skype war. VIDEOMIR ermöglichte es, die Pressezentren in Graz und Wien via Satellit mit der Raumstation Mir zu verbinden. So konnte sich der damalige österreichische Bundespräsidenten Kurt Waldheim in einem Live-Gespräch mit Franz Viehböck davon überzeugen, dass dieser sicher in der Raumstation angekommen ist. VIDEOMIR war auch wesentlich für das Kunstprojekt „artsat“ des bekannten Grazer Medienkünstlers Richard Kriesche. „Alleine dieses Teilprojekt von AustroMir war wahnsinnig aufwändig. Insgesamt ist der Zeitdruck der Mission mit der extrem kurzen Vorbereitungszeit von zweieinhalb Jahren auch heute noch bemerkenswert“, unterstreicht Koudelka.VIDEOMIR hatte nachhaltige Wirkung. Für die 1992 durchgeführte deutsche MIR-92-Mission wurde es im Auftrag der deutschen Weltraumagentur wieder eingesetzt. Für die ESA-Missionen MIR-94 und -95 wurde VIDEOMIR sogar das primäre Kommunikationsinstrument zwischen den ESA-Zentren und dem Flugleitzentrum nahe Moskau. Bis zu 25 Satellitenstationen waren in Europa mit eingebunden.