Zum Hauptinhalt springen
TU Graz/ TU Graz/ Services/ News+Stories/

25 Jahre AustroMir: Von Mozartkugeln und Ionenkanonen

28.09.2016 | TU Graz news | Forschung

Von Susanne Eigner

Mit Franz Viehböck hob vor 25 Jahren der erste und bislang einzige Österreicher in den Weltraum ab. Forscher der TU Graz leisteten Pionierarbeit in der außerirdischen Materialanalyse und ermöglichten erstmals die vernetzte Kommunikation mehrerer Orte auf der Erde und im All.

Franz Viehböck, der erste und bis heute einzige Österreicher im All. © Lunghammer - TU Graz
Freitag, 4. Oktober 1991: Die Wiener Philharmoniker spielen den Donauwalzer von Johann Strauß, als Franz Viehböck in die sowjetische Raumstation „MIR“ einschwebt. Bei seiner Ankunft hatte Franz Viehböck nicht nur eine rot-weiß-rote Fahne, Mozartpartituren und österreichische Spezialitäten zur Freude der anderen Kosmonauten auf der Mir mit im Gepäck, sondern vor allem Geräte für 15 wissenschaftliche Experimente. Daran beteiligt waren Forschungsgruppen mehrerer österreichischer Universitäten und Institutionen, etwa Joanneum Research, die die Projekträgerschaft für AustroMir innehatte, die TU Graz, das Institut für Weltraumforschung, das damalige Forschungszentrum Seibersdorf, die Universitäten Graz, Innsbruck und Wien, aber auch mehrere Firmen. Ein Schwerpunkt lag auf medizinischen Experimenten und den Auswirkungen des Weltalls auf den menschlichen Körper. Das Projekt „Motomir“ etwa untersuchte mittels eines speziellen Ergometers die Funktionsweise der Arm- und Beinmuskulatur in der Schwerelosigkeit, in „Audimir“ ging es um die Frage, wie genau Raumfahrer Schallquellen lokalisieren können, in „Optovert“ wurde Franz Viehböck mit einer Spezialmaske optischen Reizen ausgesetzt, um die Ursache der Raumkrankheit zu erforschen. „Cogimir“ untersuchte die Hirnleistung bei psychischer und physischer Belastung während des Raumflugs. Für „Bodyfluids“ und die Frage „Wie reagiert der Mensch auf akute Kreislaufreize im schwerelosen Zustand“ musste sich Franz Viehböck sogar selbst Blut abnehmen.

MIGMAS: die Materialanalysestation fürs All

Neben den neun medizinischen Experimenten standen auch physikalische Experimente am Programm – hier war unter anderem das Team der TU Graz stark gefragt. „MIGMAS“ hieß das Experiment, das besonders Robert Finsterbusch vom heutigen Institut für Kommunikationsnetze und Satellitenkommunikation forderte. Es galt, eine neuartige und vor allem weltraumtaugliche Materialanalysestation zu entwickeln. Robert Finsterbusch erklärt: „Mikrometeoriteneinschläge, Eigenatmosphäre einer Raumstation und Weltraumstrahlung führen zu veränderten physikalischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften von Materialien. Es war damals fast nicht möglich und ist auch heute noch sehr teuer, Materialproben aus dem All unbeschadet und kontaminationsfrei zurück auf die Erde zu bringen. Oft sind außerdem Materialanalysen direkt vor Ort in der Raumstation nötig, beispielsweise um den Zustand der Außenhaut eines Raumschiffes zu beurteilen. Wir mussten also eine leichte, robuste, zuverlässige und einfach bedienbare Materialanalysestation für die chemische Diagnose der durch die Weltraumkorrosion hervorgerufenen Materialveränderungen entwickeln – keine leichte Aufgabe, aber wir haben das ganz gut hinbekommen“. Das Ionenmikroskop MIGMAS erfüllte alle Anforderungen und funktioniert wie folgt: Ein fokussierter Ionenstrahl trifft die Probenoberfläche und rastert diese ab. Mit der Messung des Ionenstromes ist ein zweidimensionales Abbild der Verteilung bestimmter Elemente in der Probe möglich. Das Team rund um Robert Finsterbusch war für die gesamte Kontroll- und Steuerungselektronik mit Datenerfassung und Bildgebung zuständig, das Team vom Forschungszentrum Seibersdorf für den Ionenemitter und die Ionenoptik. „Wir haben gezeigt, dass ein so komplexes Präzisionsinstrument wie ein Ionenmikroskop unbeschädigt in die Umlaufbahn gebracht werden kann und dort einwandfrei funktioniert. Franz Viehböck hatte keinerlei Schwierigkeiten mit der Bedienung von MIGMAS.“, sagt Robert Finsterbusch.

Im den Folgejahren nach AustroMir wurden weitere regelmäßige Experimenteinschaltungen der Apparatur MIGMAS durch russische Kosmonauten durchgeführt. Außerdem war die Apparatur bei den ESA-Missionen EUROMIR-94 und EUROMIT-95 im Einsatz. Ein Nachfolgemodelle von MIGMAS mit einem Massenspektrometer wurde für die damals geplante MIR 2 Weltraumstation entwickelt, gebaut und den russischen Partnern übergeben. 

Russisches Vertrauen

Mit der Rückkehr Viehböcks zur Erde am 10. Oktober war die Zusammenarbeit Finsterbuschs mit der Raumstation Mir noch nicht zu Ende: MIGMAS wurde bis Juli 1992 insgesamt fünfmal an Bord aktiviert, und es mussten sogar Ersatzteile zur Raumstation gebracht werden. Dazu erinnert sich Finsterbusch: „Im Elektronikblock vom MIGMAS waren auch Hochspannungsmodule untergebracht. Eines davon musste ausgetauscht werden. Was heute unvorstellbar ist, war damals aufgrund der extrem vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem russischen Team fast selbstverständlich: Ein Kollege aus Russland kam nach Graz, hat sich das Ersatzmodul angesehen und sich von dessen Funktionstüchtigkeit überzeugt, das Teil eingesteckt und es ohne weitere Tests und Untersuchungen zur Mir geschickt.“

Grazer Technologie ermöglicht Verbindung ins All

Finsterbusch ist nicht der einzige an der TU Graz mit lebhaften Erinnerungen an AustroMir: Otto Koudelka, „Vater“ des ersten österreichischen Satelliten im All TUGSAT-1, war damals für das Teilprojekt VIDEOMIR zuständig, das erstmals die vernetzte Video-, Ton- und Datenübertragung mehrerer Standorte auf der Erde und im All ermöglichte und damit sozusagen ein Vorläufer von Skype war. VIDEOMIR ermöglichte es, die Pressezentren in Graz und Wien via Satellit mit der Raumstation Mir zu verbinden. So konnte sich der damalige österreichische Bundespräsidenten Kurt Waldheim in einem Live-Gespräch mit Franz Viehböck davon überzeugen, dass dieser sicher in der Raumstation angekommen ist. VIDEOMIR war auch wesentlich für das Kunstprojekt „artsat“ des bekannten Grazer Medienkünstlers Richard Kriesche. „Alleine dieses Teilprojekt von AustroMir war wahnsinnig aufwändig. Insgesamt ist der Zeitdruck der Mission mit der extrem kurzen Vorbereitungszeit von zweieinhalb Jahren auch heute noch bemerkenswert“, unterstreicht Koudelka.

VIDEOMIR hatte nachhaltige Wirkung. Für die 1992 durchgeführte deutsche MIR-92-Mission wurde es im Auftrag der deutschen Weltraumagentur wieder eingesetzt. Für die ESA-Missionen MIR-94 und -95 wurde VIDEOMIR sogar das primäre Kommunikationsinstrument zwischen den ESA-Zentren und dem Flugleitzentrum nahe Moskau. Bis zu 25 Satellitenstationen waren in Europa mit eingebunden.

Mozartkugeln in Moskau

Koudelka war rund um den Start vier Wochen in Moskau, und erinnert sich neben all der Arbeit auch an die vielen freudigen Stunden und eine Überdosis Mozartkugeln: Franz Viehböck hatte eine Schachtel mit allerhand österreichischen Leckereien dabei, von Hornig-Kaffee über PEZ-Zuckerl bis zu Wiener Reisfleisch in der Dose. Besonders gefreut hat sich wohl die Firma Mirabell über die Fernsehbilder ihrer schwerelosen Mozartkugeln. „Prompt haben sie uns tausend Mozartkugeln nach Moskau geschickt, mehr als man in einem Menschenleben verspeisen könnte“, schmunzelt Otto Koudelka.

„Weltraumprofessor“ Willibald Riedler

Willi Boskovsky, der langjährige Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, wäre bestimmt ganz besonders stolz auf seinen Neffen gewesen. Nein, nicht auf Franz Viehböck. Auf Willibald Riedler. Auf den Mann, der die wissenschaftliche Gesamtverantwortung für die österreichisch-sowjetischen Mission hatte und sich damit die Bezeichnung „Weltraumpapst“ eingehandelt hat. Ein Beiname, den er übrigens gar nicht gern hört. Lieber ist ihm „Weltraumprofessor“. Der Nachrichtentechniker ist bis heute untrennbar mit der österreichischen Weltraumforschung verbunden. Willibald Riedler war in den 1970ern Rektor der TU Graz, außerdem Direktor des Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Leiter des Instituts für Angewandte Systemtechnik von Joanneum Research – und Mentor und Inspiration für viele Nachwuchsforscherinnen und -forscher.

Information

Nähere Informationen zu AustroMir und den einzelnen Experimenten: www.austromir.at Nähere Informationen zu vergangenen und aktuellen Weltraumforschungsprojekten der TU Graz

Kontakt

Robert FINSTERBUSCH
Dipl.Ing.
Institut für Kommunikationsnetze u. Satellitenkommunikation
Inffeldgasse 12, 8010 Graz
Tel.: +43 316 873 7458
E-Mail: robert.finsterbusch@tugraz.at

Otto KOUDELKA
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Kommunikationsnetze u.Satellitenkommunikation
Inffeldgasse 12, 8010 Graz
Tel.: +43 316 873 7440
E-Mail: koudelka@tugraz.at

Franz Viehböck, der erste und bis heute einzige Österreicher im All. © Lunghammer - TU Graz
Franz Viehböck (links unten) mit der versammelten Kosmonautencrew auf der Raumstation Mir. © BMBWF Wien
Otto Koudelka von der TU Graz mit Franz Viehböck. Koudelka ermöglichte es mit dem System VIDEOMIR erstmals die vernetzte Video-, Ton- und Datenübertragung mehrerer Standorte auf der Erde und im All. Außerdem zu sehen: ein Bild von TUGSAT-1, dem ersten österreichischen Satelliten im All. © Lunghammer - TU Graz
Otto Koudelka und Franz Viehböck mit Erinnerungsstücken der AustroMir-Mission, darunter die Metallbox, die mit österreichischen Leckerein gefüllt war. © Lunghammer - TU Graz
Ein Teil des AustroMir-Teams: (v.l.): Bruno Josseck, organisatorische Gesamtleitung der Mission, damals JOANNEUM RESEARCH, Robert Finsterbusch und Otto Koudelka, beide TU Graz, und der "Austronaut" Franz Viehböck. © Lunghammer - TU Graz