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Neues Verständnis von Aortendissektionen

17.06.2021 | TU Graz news | Forschung

Von Birgit Baustädter

Eine Aortendissektion ist eine lebensbedrohliche Aufspaltung der Aortenwand, über deren Entstehung derzeit noch wenig bekannt ist. Forschende der TU Graz entwickelten nun Algorithmen und Modelle um die Diagnose und Behandlung frühzeitig zu unterstützen.

Vereinfachen die Diagnose von Aortendissektionen und haben deren Entstehung und Verlauf im Fokus: Katrin Ellermann (Institut für Mechanik) und Gerhard Holzapfel (Institut für Biomechanik). © Lunghammer – TU Graz

Weiteres Bildmaterial zum Download am Ende des Texts

Aortendissektionen werden in den meisten Fällen durch einen Einriss der inneren Schicht der Aortenwand, der Intima, ausgelöst. Dies hat zur Folge, dass Blut in den so entstandenen Zwischenraum strömt und ein sogenanntes „falsches Lumen“ bildet, welches die mechanische Belastung der Aortenwand grundlegend verändert. Im Verlauf der Aortendissektion kann sich das so entstandene falsche Lumen aneurysmatisch erweitern, was zum Durchreißen der Aortenwand und damit zum Tod führen kann. Genauso aber kann es zur Bildung eines Thrombus, also eines Blutgerinnsels im falschen Lumen kommen, welcher im günstigsten Fall das falsche Lumen ausfüllt und damit schlimmere Folgen verhindern kann. Trotz der schwerwiegenden Folgen sind die Gründe für diese Erkrankung noch nicht umfassend erklärbar, und ihr Verlauf ist schwer prognostizierbar.

Seit drei Jahren arbeiten Forschende der TU Graz im fakultätsübergreifenden Leadprojekt „Mechanik, Modellierung und Simulation von Aortendissektionen“ daran, diesen Umstand zu ändern: Mittels computergestützter biomechanischer Methoden wollen sie die Entstehung und den Verlauf von Aortendissektionen besser erklärbar machen. Mittlerweile hat sich aus dem Projekt ein eigener Forschungsschwerpunkt entwickelt, der auch über die kommenden drei Jahre hinaus, für die das Projekt nun nach einem erfolgreichen Zwischenhearing verlängert wurde, Bestand haben soll.

Die TU Graz fördert mit den Leadprojekten fachbereichsübergreifende, herausragende wissenschaftliche Vorhaben. Ausgewählt werden die zu fördernden Projekte von einer internationalen, unabhängigen Fachjury. Ein genehmigtes Leadprojekt wird für drei Jahre mit rund zwei Millionen Euro gefördert und kann nach einer erfolgreichen Evaluierung durch eine ebenfalls internationale, unabhängige Jury um weitere drei Jahre verlängert werden. Derzeit wird in zwei weiteren Leadprojekten – im Projekt „Verlässlichkeit im Internet der Dinge“ und im Projekt „Porous Materials@Work“ – geforscht.

Erfolge in der ersten Projektphase

In den bisherigen drei Projektjahren konnte das Leadprojekt-Team wichtige Erfolge aufzeigen.

Die Forschenden entwickelten unter anderem eine neue, nicht-invasive Methode, die bereits verfügbare Bildgebungsverfahren verwendet um die Diagnose von Aortendissektionen und die medizinische Überwachung zu vereinfachen. Simulationen der Strömungsdynamik von Blut haben dabei gezeigt, dass mit dieser Methode der Verlauf der Krankheit präziser vorhergesagt und der individuelle Status der Dissektion untersucht werden kann.

Darüber hinaus wurden umfangreiche mechanische Tests an menschlichem Gewebematerial durchgeführt, welche die Unterschiede in den mechanischen und strukturellen Eigenschaften von gesundem und erkranktem Gewebe aufzeigen, wie etwa die Reißfestigkeit, die Steifigkeit und die Proteinverteilung in der Aortenwand. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden Materialmodelle von der Aortenwand entwickelt, um mittels anspruchsvoller Computermodelle die Entstehung und den Verlauf von Aortendissektionen besser verstehen zu können. In Modellierungsversuchen ergründeten die Forschenden zudem das Entstehen von Blutgerinnsel im falschen Lumen und den Einfluss der Strömungsdynamik des Blutes auf den Verlauf von Aortendissektionen. Schlussendlich entwickelte das Leadprojekt-Team auch eine Software, die den Ausgangszustand der Aorta vor einer Dissektion rekonstruieren und so für die Prognose eingesetzt werden kann.

Presseaussendung zum Projektstart 2018

Pläne für die zweite Projektphase

Die nun genehmigte zweite Projektphase baut auf den vielversprechenden Ergebnissen auf. Die interdisziplinäre Gruppe möchte das Verständnis für Entstehung und Verlauf von Aortendissektionen vertiefen und u.a., basierend auf der Bayes’schen Wahrscheinlichkeitstheorie, Artifical Intelligence-Technologien entwickeln, die den Krankheitsverlauf vorhersagen können. Dabei sollen bestehende klinische Daten (big data) analysiert werden, um die zugrundeliegende Ursache der akuten Aortendissektion oder deren Zusammenhänge mit anderen Anomalien der Aorta aufzudecken. In weiterer Folge sollen nicht nur Indikationen zur operativen Sanierung, sondern auch der weitere Krankheitsverlauf vorhergesagt werden und die Erkrankung primärprophylaktisch präklinisch behandelt werden können.

Übergeordnetes Ziel der weiteren drei Projektjahre ist es, verstärkt Kliniken und Firmen mit an Bord zu nehmen, das Forschungszentrum zu etablieren, und es zu einem fixen Bestandteil der Grazer biomedizinischen Forschung zu machen.

Diese Forschung ist im Field of Expertise „Human & Biotechnology“ verankert, einem von fünf strategischen Forschungsschwerpunkten der TU Graz.

Information

TU Graz-Forscher Gerhard Holzapfel wurde für seine wissenschaftlichen Leistungen mit der William-Prager-Medaille 2021 der „Society of Engineering Science“ sowie mit der Koiter-Medaille 2021 der „American Society of Mechanical Engineers“ ausgezeichnet.

Kontakt

Gerhard A. HOLZAPFEL
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Biomechanik
Stremayrgasse 16/II
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 35500
holzapfelnoSpam@tugraz.at
www.biomech.tugraz.at

Die Simulation zeigt die Geschwindigkeit des Blutstromes in einer patientenspezifischen Geometrie bei systolischem Blutdruck. © Biomech – TU Graz
Vorherrschender Spannungszustand im falschen und richtigen Lumen bei (a) diastolischem und bei (b) systolischem Blutdruck im Vergleich mit CT Aufnahmen. © Biomech – TU Graz
Spendenaorta, die von einer Dissektion Typ A nach Stanford betroffen ist. Die Dissektion betrifft den größten Teil des Umfangs und das falsche Lumen ist mit einem intraluminalen Thrombus gefüllt. © Biomech – TU Graz
Spendenaorta, die von einer Dissektion Typ A nach Stanford betroffen ist. Die Dissektion ist gering ausgeprägt und weist keine Falschlumen-Thrombosen auf. © Biomech – TU Graz
Biaxiale Zugversuchsapparatur, in der dissektierte Aortenproben gleichzeitig in zwei senkrecht zueinanderstehenden Richtungen gedehnt werden, um im Labor physiologische Belastungszustände in Gewebeproben realisieren zu können. Die Deformationen der Probe werden berührungsfrei mit einem optischen System (Videoextensometer) und die Kräfte an den Proben mit vier Kraftmessdosen an jedem Linearaktuator gemessen. © Biomech – TU Graz
Mithilfe einer Scherversuchsapparatur werden Rupturspannungen der dissektierten Aorten bei Scherbelastung bestimmt, um Rückschlüsse auf den Belastungsmodus, bei der die Probe versagt bzw. dissektiert, zu bekommen. © Biomech – TU Graz