Die Elektrizitätssysteme in Europa werden in den kommenden Jahrzehnten aus- und umgebaut, damit sie stabil und klimaneutral zugleich sind. Um auf dem Weg zur Dekarbonisierung die richtigen Entscheidungen treffen zu können, kommen komplexe Optimierungsmodelle zum Einsatz. Doch es gibt einen Haken: Modelle realistischer Elektrizitätssysteme sind meist so groß, dass selbst Supercomputer an ihre Leistungsgrenze kommen. Also werden viele Eingangsdaten (wie Zeitreihen von Verbrauch oder Kapazitätsfaktoren von erneuerbaren Energiequellen) aggregiert, was die Modelle zwar numerisch lösbar, aber dafür ungenauer macht. Dies möchte Sonja Wogrin, Leiterin des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation der TU Graz, mit ihrem auf fünf Jahre ausgelegten Projekt „Optimization and data aggregation for net-zero power systems“ ändern und hat dafür einen mit knapp 1,5 Millionen Euro dotierten Starting Grant des European Research Council (ERC) eingeworben.
Bei der Erstellung von Optimierungsmodellen konzentriert sich die traditionelle Datenaggregation meistens ausschließlich auf die Daten selbst, ohne die Besonderheiten des jeweiligen Optimierungsmodells zu berücksichtigen. Dadurch bleibt viel Aggregationspotenzial ungenutzt, was sich auf die Rechenzeit und die Qualität der Optimierungsresultate auswirkt. In der Folge sind Investitionsentscheidungen zu Kraftwerkstechnologien, -standorten oder Netzausbau suboptimal, der Umbau des Energiesystems wird also teurer. In ihrem Projekt möchte Wogrin die Datenaggregation verbessern und Methoden entwickeln, mit denen Forschende bei gleicher Rechenleistung aussagekräftigere Modelle erstellen und der Gesellschaft damit immens nutzen können. „Weltweit wurde die Größe des Stromerzeugungsmarktes in 2022 auf 1,8 Billionen US-Dollar geschätzt“, erläutert Wogrin. „Selbst wenn neuartige Aggregationsmethoden zu Entscheidungen führen, die nur ein Prozent besser sind, sind die Auswirkungen enorm.“
Wogrins Forschungsansatz sieht vor, nicht auf einzelne repräsentative Zeiträume zu fokussieren, in denen verschiedene Auslastungssituationen zusammenfallen können. Innerhalb dieser Zeiträume kann es nämlich sein, dass die Stromversorgung zeitweise rein mit erneuerbarer Energie (Wasserkraft, Wind, PV) gewährleistet ist, zwischendurch aber auch thermische Kraftwerke zugeschaltet werden müssen oder es sogar Phasen mit insgesamt zu geringer Versorgung gibt. Betrachtet man diese Zeiträume im Durchschnitt, können Phasen mit einer Unterversorgung vollkommen aus den Daten herausfallen, was für eine zuverlässige Planung kritisch ist. Daher möchte Sonja Wogrin mit ihrer neuen Methode Phasen mit ähnlicher Versorgungslage zusammenfassen, um so komprimierte und dennoch differenzierte Modelldaten zu erhalten.
„Wenn wir das dekarbonisierte Energiesystem der Zukunft richtig planen möchten, führt kein Weg an zuverlässiger Modellierung vorbei. Schließlich gilt es, kluge Investitionsentscheidungen zu treffen. Diese Modelle und Methoden sollen dann auch für alle zur Verfügung stehen“, sagt Wogrin. „Ich bin überzeugt, dass diese neue Art der Datenaggregation nicht nur für mein Forschungsgebiet relevant ist, sondern fundamentale Werkzeuge bereitstellt, die Wissenschafter*innen auf der ganzen Welt helfen können.“
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