Uta Gelbke (2016), Urbane Nullstellen. Der unbestimmte öffentliche Raum und die Utopie des DIY Urbanismus, Institut für Architekturtechnologie; 1. Gutachter: Roger Riewe, 2. Gutachter: Bart Lootsma; 340 Seiten, Englisch.
Die Dissertation untersucht die Relevanz unbestimmter öffentlicher Räume - als urbane Nullstellen bezeichnet - für die politische Ermächtigung lokaler Akteure in Stadträumen in Form eines DIY Urbanismus. Seit der Industrialisierung und des Triumphs der rationalen Stadtplanung war die Bestimmung der physischen und nicht-physischen Merkmale der Stadt das Vorrecht von Politikern, Planern und Investoren. Im Gegensatz zur traditionellen Ästhetisierung und Vermarktung städtischer Räume durch Stadterneuerungsprojekte, bezeichnet DIY Urbanismus eine alternative Herangehensweise in der Stadtplanung wie auch das Neuverhandeln bestehender Machtkonstellationen in der Stadt. Die Arbeit analysiert, inwieweit die architektonischen und räumlichen Parameter des öffentlichen Raums seine jeweiligen Nutzer zu selbstorganisierter Planung inspiriert und ermächtigt. Nullstellen werden hier als leere, funktionell nicht vorbestimmte und dennoch physisch eindeutig gerahmte Plätze in der Stadt verstanden. Ob in die Stadtstruktur mittels Planung implementiert oder als Konsequenz anderer Modifikationen der Stadt entstehend, Nullstellen werden als Voraussetzung für neue Wege der räumlichen Aneignung und der Interaktion zwischen verschiedenen städtischen Akteuren diskutiert. Die Abwesenheit einer Autorität oder hierarchischen Struktur in urbanen Nullstellen unterstützt die Ermächtigung von Individuen und Gruppen gegenüber traditionellen Entscheidungsträgern, mit anderen Worten, sie fördert die Emergenz politischer Subjekte. Die Arbeit diskutiert drei beispielhafte Projekte - Stadterneuerung in Barcelona, Budapest und Berlin nach formalen politischen Umbrüchen - ergänzt durch Theorien der Stadterneuerung, räumlichen Wahrnehmung und politischen Subjektivität. Sie verbindet Literatur- und Plananalyse und wird durch Experteninterviews komplementiert. Bisherige Konzeptualisierungen von Unbestimmtheit im Bereich der Urban Studies werden erweitert, indem architektonisch-räumliche Parameter mit sozio-politischen Folgen verknüpft werden und indem die Arbeit einen spezifischen Eigenschaftskatalog unbestimmter öffentlicher Räume formuliert. Jenseits einer romantisierten Vorstellung von Selbstorganisation, bietet die Arbeit eine Kritik der DIY Urbanismus-Idee. Die Idee scheint hinsichtlich der Einbindung unterschiedlicher Personen in die nicht autorisierte Raumproduktion erfolgreich zu sein, sie wirft aber auch Fragen auf, z.B. hinsichtlich der Exklusion anderer Gruppen oder der Dauerhaftigkeit der Resultate. Die Arbeit zeigt, dass, abgesehen von räumlichen Gegebenheiten, politische Subjektivierung und Raumaneignung durch zusätzliche Parameter bedingt ist, insbesondere einem hohen Maß an kulturellem Kapital. Das Konzept der Nullstellen stellt daher keine "Blaupause" für die zukünftige Gestaltung öffentlicher Räume dar. Auf Basis der retrospektiven Analyse lassen sich aber räumliche Qualitäten wie der hierarchielose konkrete Ort festhalten, welche die Formierung politischer Subjekte fördern.