Claudia Volberg (2019): The signifier concrete – on the potentials of the material semantic using the example of large scale housing of 1960s and 1970s, 1. Gutachter: Roger Riewe, 2. Gutachter: Wolfgang Sonne; 319 Seiten, Deutschen
Der Gebäudebestand der 1960er und 1970er Jahre ist seit Eintreten eines stark ansteigenden Bedarfs an Sanierungsmaßnahmen sowie seines denkmalrelevanten Alters in den Fokus der fachlichen und öffentlichen Debatte über den weiteren Umgang mit dem Erbe getreten. Wohnbauten nehmen dabei eine besondere Stellung ein, da sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Einflussnahme nicht nur ein Indikator von Veränderungen und Werten in der Gesellschaft sind, sondern zusätzlich mehr noch als öffentliche Bauten erhöhten ökologisch-funktionalen Anforderungen entsprechen müssen. Das erschwert die bereits komplexe Aufgabe, Strategien für den Umgang mit dem vielschichtigen und divers rezipierten Wohnbaubestand dieser Zeit zu entwickeln. Denn zum einen stehen diese Bauten mit ihrer sperrigen und großmaßstäblichen Beton-Ästhetik in der breiten Öffentlichkeit weiterhin als Sinnbild für Bausünden der 1960er und 1970er Jahre, und zum anderen als Träger eines Erinnerungsraums sowie besonderen Habitats in seiner Andersartigkeit. Dabei zeichnet sich eine unterschiedliche Rezeption von Sichtbetonbauten mit einer plastischen Materialsprache gegenüber dem Gesamtbestand ab: Sie machen nicht nur als kulturelles Erbe, sondern zusätzlich als exklusiver Wohnbau auf sich aufmerksam, worin sie mit ihrer individuellen Körperhaftigkeit Parallelen zu den hochwertigen Sichtbetonbauten der Gegenwartsarchitektur aufweisen. Beide stehen hier für eine atmosphärisch dichte und singuläre Architektur.
Hier setzt die vorliegende Arbeit „Bedeutungsträger Beton – Potenziale der Materialsemantik am Beispiel von Großwohnbauten der 1960er und 1970er Jahre“ an.
Die Arbeit untersucht mittels einer empirischen Analyse den Einfluss der architektonischen Ausformulierung des Sichtbetons auf dessen Materialsemantik und stellt diese durch eine vergleichende Analyse von beispielhaften Großwohnbauten in einen Zusammenhang mit ihrer heutigen Rezeption. Denn einerseits lässt sich die komplexe Einfachheit ihrer Sichtbetonsprache sowohl in Neubauten als auch in der heutigen Betonforschung erkennen, die im Bereich des monolithischen Bauens insbesondere die plastische Materialsprache weiter auslotet. Andererseits stehen die Bauten der 1960er und 1970er Jahre nun vor wesentlichen notwendigen konstruktiven Sanierungsmaßnahmen in ihrer plastischen Sichtbetonsprache.
Durch die Verknüpfung der semantischen Deutung der Materialsprache von brutalistisch anmutenden Großwohnbauten mit den plastischen Sichtbetonbauten der Gegenwart zeigt die Arbeit die Qualitäten und Potenziale der plastischen Sichtbetonsprache sowohl für die Erarbeitung von Strategien zum Umgang mit dem Bestand als auch für die weitere Planung von monolithischen Sichtbetonbauten angesichts neuer Entwicklung von Sichtbeton.