Franziska Hederer (2015), An den oszillierenden Rändern der Architektur_Werkzeuge zur Raumwahrnehmung, Institut für Raumgestaltung

Kommission: Hans Gangoly, Irmgard Frank, Petra Petersson, Daniel Gethmann, Benjamin Schmid
266 Seiten, Deutsch.

Das übergeordnete Thema der Habilitationsschrift ‚An den oszillierenden Rändern der Architektur _ Werkzeuge zur Raumwahrnehmung’ ist das wissenschaftlich-künstlerische Fach "Raumwahrnehmung und experimentelles Entwerfen" als Teilgebiet der Raumgestaltung. Raumwahrnehmung ist elementare Grundlage jedes architektonischen Entwerfens. Es ist eine forschende Tätigkeit, die den Raum auskundschaftet. Je nach Ausbildung des Wahrnehmungssensoriums werden letztendlich Dichte und Intensität des gebauten Raums beeinflusst.

Kern der Untersuchungen ist das unmittelbare Erleben und Erfahren von Raum ausgehend von der Hypothese: Es gibt keine Distanziertheit, wir sind immer involviert. Aus dieser involvierten Perspektive heraus ist es möglich, sich methodisch ein implizites Wissen über den Raum anzueignen, das sich nachhaltig auf diverse Entwurfsentscheidungen auswirkt und diese mitbestimmt. In angewandten Raumexperimenten, die mit der künstlerischen Methode des Performativen arbeiten, erfolgt eine Annäherung an räumliche Dimensionen wie Enge und Weite, Rhythmus und Dynamik, Licht und Schatten, Dichte und Leere, an die Materialität des Raums, aber auch an seine lebendigen Strukturen. Der Wahrnehmende verschafft sich aus der direkten Interaktion mit dem Raum einen Überblick über gesamträumliche Zusammenhänge, die nicht nur gebaute Strukturen betreffen, sondern den Raum übergeordnet als Ort des Lebens, dem insbesondere zwischenmenschliche Beziehungen und Handlungsräume inhärent sind, wahrnehmbar machen. Stimmungen und Atmosphären räumlicher Konstellationen werden mittels performativen Methoden ausfindig gemacht und auf ihr Wirksamwerden befragt. Mittels unterschiedlicher Praktiken des Im-Raum-Seins wird eine Ausbildung und Sensibilisierung des Wahrnehmungssensoriums erreicht. Wesentliches Moment dieser performativen Praktiken ist das Aufspüren von Verhältnismäßigkeiten und Beziehungen von am Raum beteiligten Entitäten. Grenzziehungen spielen dabei ebenso wie Grenzauflösungen eine wesentliche Rolle. Dadurch kann Neues zum Vorschein kommen und Unbekanntes zutage treten, das den Wahrnehmungsschatz bereichert, und so auch das Wissen über den Raum aus der Erfahrung heraus erweitert.

Theoretisch begleitet wird das Fach "Raumwahrnehmung und experimentelles Entwerfen" von der Actor-Network-Theory, wie sie von Bruno Latour beschrieben wird. Er vertritt in dieser Theorie einen Raumbegriff, den er auf das Sozialräumliche bezieht, und der von einem Netzwerk und dem Zusammenwirken von Menschen, Dingen und Sachen im Raum ausgeht. Ein Raumbegriff, der sich nicht nur auf die statischen Momente des objektiv fassbaren gebauten Raums bezieht, sondern mit Dynamiken, Diskontinuitäten und Veränderlichkeiten des Raumgefüges operiert und den Raum als sozio-kulturelle Größe versteht. Seine Theorie, die einen stark handlungsorientierten Praxisbezug aufweist, steht methodisch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem performativen Gestalten von Räumen. Die Performance, in die das wahrnehmende Subjekt selbst verwoben ist, ist ein Mittel, um zu einem besseren, umfassenderen Verständnis von Raum zu gelangen sowie ein eigenständiges Denken über Raum zu entwickeln. Man gewinnt eine neue, veränderte Wahrnehmung des Alltäglichen.In der Architektur, die als Darstellungsraum für Repräsentanz und Dauer steht, hat diese Raumauffassung aber bis heute kaum Fuß gefasst, da es ihr an Beständigkeit und Verlässlichkeit mangelt. Gleichzeitig trägt sie das Potenzial in sich, Neues und Unbekanntes zum Vorschein kommen zu lassen, was für Entwurfsprozesse und damit letztendlich auch für die zu entwerfenden Gebäude von ursächlicher Bedeutung ist. Dahingehend ist Raumwahrnehmung als forschende Methode, die mit performativen Mitteln operiert, zu begreifen und wird als Grundlage für entwerfendes Agieren vermittelt. Die Arbeit selbst versteht sich als eine Art „Werkzeugsammlung“ für Entwurfsprozesse, die von der Erfahrung des eigenen Körpers im Raum ausgehen. Dieses Erfahrungswissen wird in Bezug zu theoretischen Vorstellungen zum Raum gesetzt, welche diesen als Spielraum und Möglichkeitsfeld begreifen. Geht man davon aus, dass wahrnehmungsbasierte Entwurfsprozesse von der gegenseitigen Annäherung von Praxis und Theorie handeln, so bietet diese Arbeit Möglichkeiten und Ideen für genau diese Annäherung. Sie positioniert sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst und liefert einen Beitrag zur Grundlagenforschung im Bereich des practice-based sowie des arts-based Research.