Die diesjährigen Graz Architecture Lectures, die von 6. bis 7. April virtuell abgehalten wurden, widmeten sich dem Thema „Professionalism“ und insbesondere der Frage nach den unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Professionalität im komplexen Feld der Architektur. Insgesamt zwölf Vortragende mit unterschiedlichen Schwerpunkten innerhalb der Profession diskutierten Spannungsfelder zwischen Begriffen wie Profession, Professionalität und Professionalisierung, Perfektion und Dilettantismus sowie deren Stellung in unterschiedlichen fachlichen und kulturellen Kontexten.
Alexander Bartscher, der die Vortragsreihe eröffnete, sprach über die Bedeutung der digitalen Architekturvisualisierung im Kontext der Profession und der weiteren Ausdifferenzierung dieser Subdisziplin in neue Märkte. Im Anschluss plädierte Matthias Castorph in einem persönlichen Statement gegen eine Polarisierung und für eine Vereinigung der Begriffe von Profession und Professionalität sowie für eine kooperative Arbeitsweise in der realen Baupraxis jenseits der Fachdiskurse. Benjamin Dillenburger referierte über die professionellen Wege zwischen Forschung und Praxis und berichtete von seinem Umgang mit neuen digitalen Instrumenten in der forschungsgeleiteten Praxis, die er anhand des Projekts „Digital Grotesque“ illustrierte. Einen historischen Blick auf das Berufsbild warf Andri Gerber, indem er z.B. anhand des kaum bekannten Architekten Ludwig Hofmann und seiner bedeutenden Rolle als bürokratische Figur des 19./20. Jahrhunderts den historischen Wandel innerhalb der Profession, d.h. den Übergang von öffentlicher, staatlicher hin zu privater, unabhängiger Handlungsmacht und Verantwortung veranschaulichte. Stephanie Hirschvogels Position identifizierte Architektur als ganzheitlichen Gestaltungsauftrag, in dem Perfektion, Subversion und Transformation wichtige Komponenten darstellen. Die Komplexität, die das professionelle Schreiben über Architektur verlangt, die dafür angemessenen Werkzeuge und die ebenso nötige Distanz zur eigenen Arbeit thematisierte Architekturjournalistin Jeanette Kunsmann in ihrem Vortrag.
Der zweite Tag der Lectures begann mit dem Vortrag von Michael Beutler, der über die Gemeinsamkeiten und Ambivalenzen von Kunst- und Architekturschaffenden sprach und abschließend die Frage nach dem Zusammenhang von persönlichem Antrieb und Professionalität in den Raum stellte. Aus der Perspektive der Immobilienentwicklung illustrierte Niels Lehmann anhand drei konkreter Bauprojekte, wie Flächen- und Kostenoptimierung sowie Nutzungskonzepte außerhalb des Standards gelingen können. Einblicke in sein Wirken als Forscher, Lehrer und Leiter eines Architekturbüros gab Ivica Brnić, der über die sinnstiftende Funktion in der Architektur sowie die Notwendigkeit der Verteilung der Handlungsfähigkeit im Kollektiv als Voraussetzung für professionelles, verantwortliches Handeln referierte. Über die kulturellen Unterschiede der Profession zwischen den USA und der Schweiz berichteten Charlotte v. Moos und Florian Sauter und verteidigten dabei den Stellenwert von Architektur als kultureller Praxis, aber auch von weniger kalkulierbaren Faktoren wie glücklichen Einfällen im Entwurfsprozess. Thomas von Pufendorfs Position aus Sicht des Baumanagements betonte die Notwendigkeit von regelmäßigem fachlichem Austausch innerhalb des Netzwerks unterschiedlicher Professionalist*innen und einer verständlichen Darstellung von Abläufen, Projektphasen und Terminen. Auch für Ulrike Tinnacher ist die regelmäßige Kommunikation und der intensive Austausch zwischen Architekt*innen und Handwerker*innen auf der Baustelle ein zentraler Faktor professioneller Praxis. Ihr persönlicher Ansatz leitet sich dabei aus Erfahrungen als selbstständige Architektin auf Baustellen in Österreich und in der Schweiz ab.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Alexander Lehnerer (Institut für Raumgestaltung), Florian Summa (Integral Architecture) und Petra Eckhard (GAM.Labor) live aus dem KOEN-Studio. Anne Femmer (Integral Architecture) sowie Julian Müller (Institut für Entwerfen im Bestand und Denkmalpflege) fungierten als Co-Moderator*innen in digitaler Präsenz. Die Diskussion wird in Form einer Publikation, der 19. Ausgabe des Graz Architecture Magazine weitergeführt. Abstracts zum Call for Contributions können bis zum 12. Juni 2022 an gam eingereicht werden. @tugraz.at
Text: Petra Eckhard