Ziel dieser Arbeit war es, ein Materialmodell für dehnratenunabhängiges, isotrop elasto-plastisches Materialverhalten herzuleiten, in eine Finite-Elemente-Umgebung zu implementieren und durch einfache numerische Simulationen auf Plausibilität und Stabilität zu testen. Gemäß des additiven Ansatzes der Plastizität wurde die sogenannte plastische Metrik auf der Ausgangskonfiguration als interne Variable eingeführt. Als Gegenstück zum rechten Cauchy-Green Tensor, welcher die gesamte Formänderung quantifiziert, dient die plastische Metrik dazu, den Anteil der irreversiblen Formänderungen zu beschreiben. Zusätzlich wurde eine Verfestigungsvariable eingeführt, um lineare isotrope Verfestigung abzubilden. Als Ausgangspunkt für die Herleitung der Konstitutivgleichungen diente ein Neo-Hooke-ähnliches elastisches Potenzial, abhängig vom rechten Cauchy-Green Tensor, der plastischen Metrik und der Verfestigungsvariable. Das Potenzial wurde 2017 von Tobias ASMANOGLO, Jia LU, Andreas MENZEL und Panayiotis PAPADOPOULOS vorgeschlagen, um sich entwickelnde plastische Anisotropie mithilfe der Plastic-Spin-Theorie zu modellieren. Mittels des Prinzips der maximalen Dissipation konnten, ausgehend vom zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, Evolutionsgleichungen für die internen Variablen abgeleitet werden. Aufgrund der besseren Stabilität kam zum Lösen der Evolutionsgleichungen ein impliziter Integrationsalgorithmus zur Anwendung, wobei die Implementierung in die FE-Umgebung über eine klassisches „Return-Mapping“-Schema erfolgte.
Das Materialmodell wurde in das Finite-Elemente-Programm SOOFEA (software for object-oriented finite element analysis) implementiert. Es handelt sich dabei um ein MATLAB-basiertes, objektorientiertes und modulares Finite-Elemente-Programm, entwickelt von Mitarbeitern des Instituts für Festigkeitslehre. Einfache numerische Beispiele dienten dazu, um eine fehlerfreie Implementierung des Materialmodells zu bestätigen, sowie das abgebildete Materialverhalten zu plausibilisieren. Mangels Alternativen wurden dabei für sämtliche Simulationen lineare 8-Konoten Hexaederelemente verwendet, welche sich bekanntlich für plastische Probleme nicht uneingeschränkt eignen. Deshalb sollte für weiterführende Untersuchungen eine FE-Umgebung gewählt werden, in welcher geeignete Element-Typen zur Verfügung stehen. Die abgeleiteten Konstitutivgleichungen können als Ausgangsbasis für ein anisotropes Materialmodell dienen.
Motivation Stefan Lichtenegger
Das Interesse für Kontinuumsmechanik wurde bei mir erstmals durch die Lehrveranstaltungen Höhere Festigkeitslehre und FE-Methoden und Elastizitätstheorie 1 geweckt. Jeder Studierende hat bis dahin bereits eine Vorstellung vom groben Ablauf einer Finite-Elemente-Simulation und wozu sie in der Praxis angewandt werden. Die wenigsten jedoch haben ein Verständnis davon, wie ein FE-Programm tatsächlich im Detail „funktioniert“ und auf welchen theoretischen Überlegungen die Methode basiert. Besonders interessant war für mich zu sehen, wie man dabei unterschiedliche Teilgebiete aus Mathematik, Mechanik, Festigkeitslehre, Materialkunde und Thermodynamik vereint, um aus der blanken Theorie Schritt für Schritt eine praktisch anwendbare Methode zu formulieren. Dieses Wissen war für mich aber nicht genug, ich wollte mehr! Deshalb besuchte ich auch die Lehrveranstaltung Rechnerübungen zu FE-Methoden. Dabei haben Studierende die Möglichkeit, die einzelnen Bestandteile eines Finite-Elemente-Programms anhand einer objektorientierten MATLAB-Implementierung praktisch kennenzulernen und selbst zu programmieren. Für mich war diese Lehrveranstaltung die wahrscheinlich interessanteste im gesamten Studium und ausschlaggebend dafür, dass ich meine Masterarbeit auf diesem Gebiet schreiben wollte. Ob der vielen interessanten MA-Themen, die mir am Institut für Festigkeitslehre angeboten wurden, war es jedoch keine leichte Entscheidung, sich auf ein Thema festzulegen. Schlussendlich entschied ich mich für die Modellierung und Implementierung eines plastischen Materials, weil dies ein Teil eines FE-Programms ist, mit dem ich mich bisher nur am Rande beschäftigt hatte und ich gleichzeitig meine Freude am ingenieurmäßigen Programmieren ausleben konnte. Außerdem sah ich es als Möglichkeit, mich noch mal in die theoretischen Grundlagen der Kontinuumsmechanik zu vertiefen, bevor ich in meiner weiteren beruflichen Laufbahn ohnehin genug praxisnahe Erfahrungen sammeln werde.
Betreut wurde ich von Herrn Prof. Manfred Ulz, bei dem ich mich hier noch mal herzlich für die hervorragende Unterstützung bedanken will. Bei Fragen stand er sofort zu Verfügung und er nahm sich immer viel Zeit, um anstehende Herausforderungen zu diskutieren. Auch die anderen Mitarbeiter am Institut waren stets sehr hilfsbereit. Insgesamt herrschte ein ausgezeichnet freundliches Arbeitsverhältnis, das ich mir nicht besser hätte vorstellen können. Für die Zeit meiner Masterarbeit wurde mir ein ruhiger Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Außerdem wurde durch den Zugang zur institutseigenen Kaffeemaschine die Produktivität ungemein gesteigert.