Sex und Gender im Forschungsprozess
Frauen* und Männer* finden aufgrund ihrer sozial und kulturell zugewiesenen Geschlechterrollen (gender) in der Gesellschaft unterschiedliche Lebensbedingungen und Chancen vor, entwickeln vielfältige Interessen und Bedürfnisse und sind somit von gesellschaftlichen Prozessen und deren Auswirkungen unterschiedlich betroffen. Diese gesellschaftlich zugeordneten Geschlechterrollen sind gestalt- und veränderbar. Im Gegensatz dazu wird das biologische Geschlecht (sex) unterschieden, denn erst die Differenzierung zwischen sex und gender ermöglicht eine Unterscheidung zwischen biologischem und sozialen Geschlecht, die im deutschen Sprachgebrauch mit dem Wort "Geschlecht" auf diese Weise nicht möglich ist.
Wird also nicht angemessen auf mögliche Unterschiede hinsichtlich sex und/oder gender im Forschungsprozess geachtet, so besteht die Gefahr für geschlechtsspezifisch verzerrte Einschätzungen und Interpretationen, dem sogenannten Gender Bias1. Wird jedoch nur zwischen Frauen* und Männern* unterschieden, suggeriert dies, dass es sich um homogene Gruppen handelt. Unterschiede innerhalb der Gruppen werden nicht dargestellt und es besteht die Gefahr, dass Geschlechterstereotype fortgeschrieben werden. Daher gilt es immer auch Diversitätsaspekte (z.B. Alter, Ethnizität, Religion, körperliche Fähigkeiten, sozialer Status etc.) zu berücksichtigen und gegebenenfalls die Überschneidung und Einflussnahme verschiendener Kategorien (Intersektionalität) zu analysieren.
*Der Stern (Gender-Star) deutet auf die soziale und kulturelle Konstruiertheit dieser Begriffe hin - er steht im Fall von Frau* und Mann* für Offenheit in Bezug auf Geschlechtsidentitäten und soll als Kritik gegen die binäre Geschlechterordnung verstanden werden.
1Es werden drei Hauptformen des Gender bias (geschlechtsspezifische Verzerrungseffekte) in der Forschung unterschieden: "Androzentrismus bzw. Übergeneralisierung" (männlich bestimmte Perspektive bzw. Ausschluss eines Geschlechts), "Geschlechterinsensibiltät" (Ingonrieren von sex und/oder gender als bedeutende Faktoren) und "Doppelter Bewertungsmaßstab" (unterschiedliche Behandlung oder Evaluierung gleicher Situationen auf der Basis des Geschlechts). Quelle: Eichler et. al., Richtlinien zur Vermeidung von Gender Bias in der Gesundheitsforschung. In: Z. f. Gesundheitswissenschaften, 8. Jg. 2000, H. 4.