Die Einrichtung eines Physikstudiums und die Entstehung des Physikgebäudes

Im Jahr 1955 wurde Prof. Rudolf Gebauer als Nachfolger von Prof. Kohlrausch an das Physikalische Institut berufen, das bald danach in "Institut für Experimentalphysik" umbenannt wurde. Nahezu gleichzeitig kam es zur Gründung einer Lehrkanzel (später Institut) für Theoretische Physik, die mit Professor Ernst Ledinegg besetzt wurde. Er kam von der Karl-Franzens Universität.
Die Zeit nach 1955 war in erster Linie gekennzeichnet durch das Bestreben der beiden Physikprofessoren, an der Technischen Hochschule Graz möglichst rasch ein Vollstudium Physik einzurichten. Sie gingen dabei von der Überlegung aus, dass sich gute Mitarbeiter für die Forschung am ehesten durch ein Vollstudium am Ort gewährleisten lassen. Es gab bis dahin hier (seit 1947) lediglich die Möglichkeit, den ersten Studienabschnitt eines Studiums "Technische Physik" zu absolvieren. Der Lehrplan dieses Studienabschnitts entsprach in Graz damals weitgehend dem des Maschinenbaustudiums. Die Anerkennung dieses ersten Studienabschnitts stieß an der Technischen Hochschule Wien, wo ein Vollstudium "Technische Physik" schon bestand, häufig auf gewisse Schwierigkeiten. Es gab daher nur sehr wenige Studenten, die diesen Weg beschritten.
Ungeachtet aller zu erwartenden Probleme gingen die beiden Physikprofessoren Gebauer und Ledinegg sogleich daran, die ersten Schritte zur Einrichtung eines solchen Vollstudiums in Graz einzuleiten. Ein Grundproblem dabei war, dass es außer ihnen damals keinen weiteren einschlägig Habilitierten an der Hochschule gab. So begannen sie mit ungeheurem Arbeitseinsatz, die nötigen Lehrveranstaltungen nach und nach selbst anzubieten. Beim Institut für Theoretische Physik waren es neben Vorlesungen für die Ingenieur-Studenten in erster Linie die üblichen theoretischen Kursvorlesungen (Mechanik, Elektrodynamik etc.) mit den entsprechenden Übungen dazu. Beim Institut für Experimentalphysik mussten zu den schon vorhandenen 2 Grundvorlesungen für die Ingenieurstudenten und den Praktika für die Chemiker und Geodäten nun noch Lehrveranstaltungen für die Physikstudenten hinzukommen: eine ergänzende Grundvorlesung mit Rechenübungen, ein eigenes Grundpraktikum mit einer Einführungsvorlesung dazu, eine weiterführende Vorlesung für den zweiten Studienabschnitt, Praktika für Fortgeschrittene und ein Seminar. Dabei ist zu bedenken, dass für die meisten derartiger Lehrveranstaltungen ein gewisser experimenteller Aufwand und damit auch viel Zeit für die Vorbereitung erforderlich ist.
Zunächst galt es aber, das für diese Unterrichtszwecke nötige experimentelle Inventar zu beschaffen. Professor Gebauer fand bei seinem Dienstantritt ein Institut vor, bei dem nicht nur die Räumlichkeiten für die genannten Anforderungen viel zu klein waren. Die experimentelle Ausstattung stammte fast ausschließlich aus der Zeit vor der Jahrhundertwende. Er hat dann zunächst in mühsamer Kleinarbeit nach und nach alle Unterrichtsgeräte und Einrichtungsgegenstände für Vorlesungen und Praktika beschafft, die für einen modernen Ausbildungsbetrieb in der Grundstufe unumgänglich notwendig sind. Nach wenigen Jahren schon konnte er in jeder Stunde der Grundvorlesung eine ganze Reihe von Experimenten zeigen. Der zweite Schwerpunkt seiner Tätigkeiten lag auf dem Bausektor. Es wurden die Institutsräumlichkeiten umgebaut und gleichzeitig Planungen für ein neu zu errichtendes Gebäude der Physikinstitute durchgeführt. In einem nachfolgenden Abschnitt wird näher darauf eingegangen. Dem erhöhten Personalbedarf für alle diese Arbeiten konnte er Rechnung tragen. Im Verlauf seiner Amtszeit, gelang es ihm, die Anzahl der Planstellen des Instituts auf das Dreifache zu erhöhen.
Die ungeheure Lehrbelastung, die Umstrukturierung des Instituts sowie die Kämpfe und die Planungsarbeiten im Zusammenhang mit dem angestrebten Physikgebäude ließen die Forschungsarbeiten etwas in den Hintergrund treten. Es wurde zwar eine ganze Reihe von Diplom- und Doktorarbeiten durchgeführt und auch publiziert, aber sehr lange Zeit (bis zum Jahr 1989) konnte sich an diesem Institut niemand habilitieren. Die Forschungsarbeiten waren damals hauptsächlich auf den Starkeffekt und damit in Zusammenhang stehende Gebiete zugeschnitten.
Die dazu notwendigen Geräte und apparativen Einrichtungen brachte Professor Gebauer aus Darmstadt mit, in seinem Besitz befindlich oder als Leihgaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Arbeiten zielten u.a. auf die für Starkeffektuntersuchungen schwerer Atome zweckmäßige Erreichung hoher Feldstärken ab. Von ihm selbst sind schon früher die bei derartigen Experimenten bis heute höchsten elektrischen Feldstärken (1,6 MV/cm) erzielt worden.
Infolge Mangels an habilitierten Lehrkräften in Physik (die erste Habilitation gab es am Institut für Theoretische Physik im Jahre 1959, die zweite am Institut für Angewandte Physik 1974) mussten schon früh junge Assistenten für anspruchsvollere Lehrtätigkeiten herangezogen werden. So hatte beispielsweise der Autor dieses Artikels ein Praktikum für Fortgeschrittene (Endstand 21 Aufgaben) und sodann als Lehrauftrag ein Praktikum für Angewandte Physik (27 Aufgaben) einzurichten, was damals nur durch besonders begabte und ambitionierte Praktikanten gelang.
Ungleich schwieriger noch als bei der Experimentalphysik gestaltete sich die Installation des Instituts für Angewandte Physik (1966). Der neu berufene Ordinarius Professor Krautz war davor Forschungsdirektor bei der Firma Osram in Augsburg.
Er betrachtete daher als eines seiner besonders gewichtigen Forschungsgebiete die Lichttechnik, was sich dann auch im Institutstitel niederschlug. Professor Krautz sah sich bei seinem Dienstantritt vor besonders großen Probleme gestellt: Für sein Institut gab es zu Anfang weder Räumlichkeiten noch Inventar. Durch die Übersiedlung des Zentrums für Elektronenmikroskope in das Gebäude des Joanneum Research wurden die davon bisher besetzten Räume des Instituts für Experimentalphysik frei und konnten so dem Institut für Angewandte Physik überlassen werden. Weitere Räumlichkeiten wurden dann auswärts nach und nach gefunden. Das gesamte von ihm benötigte Forschungsinventar brachte Professor Krautz mit nach Graz. Es war zugeschnitten auf die zunächst aufgenommenen Forschungsarbeiten auf den Gebieten der Lichttechnik, hier vor allem der Leuchtstofflampen, sowie der Feldionenmikroskopie. Seine Vorlesungen behandelten u.a. die genannten Gebiete, vor allem aber die Festkörperphysik.
Im Jahre 1974 habilitierte sich an díesem Institut Klaus Rendulic. Er kam von der Pennsylvania State University in den USA. Es war die erste Habilitation an der Technischen Hochschule Graz auf einem Gebiet der experimentellen Physik nach fast 40 Jahren. Sein Forschungsgebiet war zunächst die Feldionenmikroskopie. Er erweiterte dann seinen Aktivitäten in Richtung Absorptions- und Desorptionsdynamik atomarer Teilchen an Festörperoberflächen und bestritt in der Lehre bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2004 vorrangig den Bereich Oberflächenphysik.
Im Jahre 1970 wurde das Institut für Kernphysik gegründet und mit Professor Ludwig Breitenhuber besetzt. Er hielt vor allem Vorlesungen über Atom- und Kernphysik, Reaktorphysik, Thermodynamik und Kontinuumsmechanik. In der Forschung standen an diesem Institut Themen der Reaktorphysik, Strahlenphysik und der Festkörper-Positronenphysik im Vordergrund.
Im Jahre 1975 trat der Verfasser dieses Artikels die Nachfolge von Professor Gebauer an. Er war davor 12 Jahre an der Universität Kiel tätig, hatte u.a. dort schon einige Jahre die Grundvorlesung aus Experimentalphysik übertragen bekommen und war Leiter einer Forschungsgruppe auf den Gebieten der Gasentladungsphysik und der Plasmadiagnostik. In Graz war der gesamte Lehraufwand von Professor Gebauer bei inzwischen enorm gestiegenen Hörerzahlen zu übernehmen und zunächst vor allem auch die Hauptverantwortung für die endgültige Fertigstellung des Neubaus. Der Lehraufwand gestaltete sich in zunehmendem Maße erdrückend, zumal erst nach 14 Jahren einer der Mitarbeiter sich habilitieren und eigenverantwortlich Lehraufgaben übernehmen konnte, worauf dann noch 2 andere folgten.
Um einen Eindruck von der Lehrbelastung des Instituts bezüglich Prüfungen, Praktika und Rechenübungen zu vermitteln seien ein paar Zahlen genannt: Die Anzahl der inskribierten Physikstudenten war Mitte der Sechzigerjahre im Durchschnitt etwa 30, im Jahr 1975 bereits fast 200, im Jahr 1995 etwas mehr als 600. (Sie ging später zeitweise wieder auf etwa 300 bis 400 zurück.) Die Anzahl der Hörer, die Physik inskribiert hatten (die Chemiker und die Studenten der Ingenieurfächer eingeschlossen) betrug im Studienjahr 1960/61 rund 850, bei einer damaligen Gesamthörerzahl der Technischen Universität von etwas mehr als 3000. Da die Gesamtanzahl der Physik-Inskribierten früherer Jahre z.T. schwer zu eruieren ist, kann man sich dann diesbezüglich nur mehr an der Gesamthörerzahl orientieren. Sie betrug 409 im Jahr 1938/39, 1500 im Jahr 1954/55, 6555 im Jahr 1978/79 und 11257 im Jahr 1998/99. Mit der Hörerzahl in den Physikvorlesungen stieg auch der Prüfungsaufwand. Oft wurden jährlich am Institut an die 2000 Zeugnisse ausgestellt.
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