IGE/LEHRE/THEMEN

Nearly Zero

2018/19

Die Richtlinie des Europäischen Parlamentes und Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäudensch- reibt vor, dass alle neuen Gebäude ab Ende 2020 als „Niedrigstenergiegebäude“ („nearly zero energy buildings“) ausgeführt werden müssen. Für öffentliche Gebäude gilt diese Richtlinie bereits ab Ende 2018.

Welche Auswirkungen hat diese sogenannte EPBD (Energy Performance of Buildings Directive) für Immo- bilienentwickler in Österreich? Und welche Auswirkun- gen hat sie auf die Architektur? Es erscheint evident, dass die Fähigkeit, diese nahezu Niedrigstenergie- Gebäude entwerfen zu können, Teil der Designkom- petenz jedes Architekten sein muss.

Im Rahmen dieser Gesetzgebung wird ein „Nied- rigstenergiegebäude“ bzw. „nearly zero energy building“ (nZEB) als ein Gebäude definiert, in dem der Primärenergieverbrauch von Heizung, Küh- lung, Beleuchtung, Warmwasser, Pumpen und Ventilatoren durch die Erzeugung erneuerbarer Energie am Gebäudestandort weitestgehend kom- pensiert wird. Dies soll durch eine Kombination aus hoher Energieeffizienz und die Nutzung er- neuerbarer Energiequellen vor Ort erreicht werden. Z.B. wird in einem aktuellen Architekturwettbewerb für einen Niedrigstenergie-Bürokomplex in Belgien, folgende Definition von „Niedrigstenergiegebäuden“ angewendet: Der Gebäudekomplex soll einen Primärenergiebedarf von nicht mehr als ca. 85-100 kWh pro Quadratmeter und Jahr haben und die Erzeugung erneuerbarer Energie vor Ort soll nicht weniger als 45 kWh/m2a sein. Dies ergibt einen Netto - Primärenergiebedarf von ca. 40-55 kWh/m2a. In Österreich schreibt der Nationale Plan der OIB einen maximalen Primärenergiebedarf für Bürogebäude von 84 kWh/m2a vor.

Doch sollten wir wirklich 84 kWh / m2a als “fast Null” betrachten?

Vermutlich entspringt das Konzept von “fast Null” öko- nomischen Überlegungen, die der Wirtschaftstheorie als “Grenzkosten” oder “das Gesetz der abnehmen- den Erträge” bezeichnet werden. Der wirtschaftliche Kostenunterschied zwischen Null-Energie und „Fast- Null-Energie“ wird als unverhältnismäßig zum Nutzen angesehen. Das heißt, wenn man die Kosten in einem Diagramm gegen den Primärenergiebedarf aufträgt, nimmt die Steigung der Grenzkostenkurve stark zu, wenn der Energiebedarf gegen Null geht.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass gegenwärtige Defi- nition eines „Nullenergiegebäudes“ ein Netto- Ener- giegleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage über den Zeitraum eines ganzen Jahres voraussetzt, so dass es theoretisch möglich wäre, alle erneuerbaren Energien nur im Sommer zu produzieren, während im Winter nur Energie verbraucht wird. Dabei wird das Stromnetz als virtuelles Speichersystem betrachtet, in das überschüssige Energie eingespeist wird, und aus dem Energie entnommen wird, wenn die Nach- frage die Energieerzeugung vor Ort übersteigt. Ein Gebäude, in dem dieser Ansatz verfolgt wird, wird üblicherweise als „Net Zero Energy Building“ - NZEB - bezeichnet. Und somit sind „nearly Zero Energy Buildings“ - nZEB - tatsächlich „nearly Net Zero Energy Buildings“ - nNZEB.

Im mitteleuropäischen Klima besteht in der Regel eine große zeitliche Diskrepanz zwischen der Erzeugung erneuerbarer Energien und der Energienachfrage in Gebäuden. Mit zunehmenden Anteil erneuerbarer Energiequellen, die wetterabhängig, und somit volatil sind, geraten die Stromnetze zunehmend unter Druck, die Versorgungssicherheit zu erhalten. Im urbanen Maßstab werden so genannte Smart Grids entwickelt, um das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage zu verringern. Auf Gebäudeebene muss neben En- ergieeinsparung und Energieproduktion noch eine dritte Strategie hinzugefügt werden:

Das Anbringen von Energiespeichern oder die Max- imierung der sogenannten “Energieflexibilität” des Gebäudes, um eine Lastanpassung bzw. ein hohes Maß an gleichzeitiger Versorgung und Nachfrage zu erreichen.

Auf dem Weg in die Zukunft des Zero Energy Build- ing ergeben sich weitere interessante Fragen: Soll beispielsweise der mit der Nutzung verbundene Energiebedarf (die sogenannte Plug-Load), die bei der Errichtung verwendete graue Energie und die mit den Mobilitätsbedürfnissen der Nutzer verbundene Energie in die Überlegungen mit einbezogen werden? ^^Welchen Zusammenhang gibt es im städtischen Maßstab zwischen der Erreichung von nZEB, Gebäu- detypologie und der städtischen Dichte? Wie wirken sich Niedrigstenergiegebäude auf das Klima in Europa aus?

Null-Energie-Gebäude oder Null-Energie-Stadtteil - was macht mehr Sinn? Ist es wirklich leichter, letzteres zu erreichen? Also „Fast-Null-Energie“ auf Stadt- teilebene, wie oft behauptet wird?

Sollten wir auf Null-Energie oder Null-Emission abzielen? Was ist mit anderer Verschmutzung und Abfallproduktion?

Was kann ein Gebäude zu seiner Umwelt beitragen? Wenn ein Gebäude als sogenanntes “Plus-Energie-Gebäude” konzipiert ist, kann es den Überschuss an erneuerbarer Energie in das umliegende Stadtgebiet liefern. Sauberes Wasser, saubere Luft, Verbesserun- gen im Mikroklima sind weitere Möglichkeiten.

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