Die Landwirtschaft steht durch die globalen, von menschlichen Aktivitäten verursachten Veränderungen weltweit vor enormen Herausforderungen: Dürre, Starkwetterereignisse, Temperaturrekorde und neu auftretende Krankheitserreger gefährden die Welternährung. Deshalb müssen wir unsere Kulturpflanzen robuster machen, ohne die Umwelt weiter zu belasten. Mikrobiomforschung und -management bieten großes Potenzial, diese Ziele zu erreichen. Durch eine neue Studie einer internationalen Forschungsgruppe unter Leitung der TU Graz, die im Fachjournal New Phytologist veröffentlicht wurde, eröffnen sich hier neue Perspektiven.
Die Bedeutung des Mikrobioms für Lebewesen
Die Mikrobiomforschung ist erst wenige Jahrzehnte alt, hat aber schon einige bahnbrechende Erkenntnisse vorzuweisen. Eine davon ist, dass Menschen, Tiere und Pflanzen ein sehr spezifisch angepasstes Mikrobiom haben, das essenzielle Funktionen übernommen hat. Beide, Organismus und Mikrobiom, sind in Koevolution, also in wechselseitiger Beeinflussung entstanden. Das konnte durch die vorliegende Studie bestätigt werden. Heute betrachten wir alle Organismen als „Holobiont“ – gemeinsam funktionierende Einheiten mit zahlreichen spezialisierten Mikroorganismen. Letztere sind zahlenmäßig immer überlegen; der Mensch hat zum Beispiel zehnmal mehr Mikroorganismen als eigene Zellen. Das Mikrobiom wird dadurch als wichtiges Ziel für neue Gesundheitstherapien und Prophylaxe eingestuft. Für Kulturpflanzen gilt das gleichermaßen, jedoch ist das Potenzial hier bislang wenig bekannt und ausgeschöpft.
Bestätigung der Koevolutionstheorie
Die interdisziplinäre Forschergruppe hat das Mikrobiom moderner domestizierter Apfelkulturen – also gezielt gezüchteter und kultivierter Sorten – mit dem Mikrobiom ihrer wilden Vorfahren sowie mit dem Mikrobiom nahe verwandter Arten verglichen. Mithilfe molekularer Analysen und bioinformatischer Verfahren konnte die Gruppe erstmals feststellen, dass das Mikrobiom im gleichen Maße vererbt wird, wie die Gene. Äpfel, die sich genetisch ähnlich sind, beherbergen so auch ein ähnliches Mikrobiom. Und überraschender Weise enthalten unsere modernen Apfelsorten immer noch ein Teil des Mikrobioms ihrer wilden Vorfahren.
Die Studie zeigt, dass auch das Mikrobiom „gezüchtet“ und mit der Zeit stark verändert wurde. Bislang passierte dies ungezielt und viele Mikroorganismen sind dabei verloren gegangen. Diese verlorengegangenen Mikroorganismen könnten uns jetzt helfen, unsere Kulturpflanzen wieder fit für den Klimawandel zu machen. Denn jetzt steht nicht mehr Größe und Süße der Äpfel im Vordergrund der Züchtung, sondern deren Resilienz und Gesundheit. Die Forschergruppe ist überzeugt, dass das Mikrobiom der wilden Vorfahren, die aus dem innerasiatischen Tienschan-Gebirge stammen, hierzu wertvolle Mikroorganismen enthält.
Publikation: Evidence for host-microbiome co-evolution in apple
Ahmed Abdelfattah, Ayco J.M. Tack, Birgit Wasserman, Jia Liu, Gabriele Berg, John Norelli, Samir Droby, Michael Wisniewski.
New Phytologist, DOI: 10.1111/nph.17820
Nützliche Forschungsergebnisse für die Landwirtschaft
Für Studien-Erstautor Ahmed Abdelfattah vom Institut für Umweltbiotechnologie „klären die Ergebnisse eine lange wissenschaftliche Debatte und legen den Grundstock für neue ökologische Strategien in der Pflanzenzüchtung.“
Denkbar wäre beispielsweise das Verändern des Pflanzenmikrobioms durch gezieltes Einbringen von Mikroorganismen, um die Widerstandskraft der Pflanzen zu erhöhen. Hierauf ist das Institut für Umweltbiotechnologie der TU Graz spezialisiert (siehe dazu Links am Ende des Beitrags) und Marie Curie Fellow Ahmed Abdelfattah hat es als Forschungsstandort gezielt durch die Expertise auf dem Gebiet der Mikrobiom-Biotechnologie ausgewählt. „Meine Forschung am Apfel-Mikrobiom begann während meiner Zeit als Doktorand im Labor von Dr. Michael Wisniewski im Jahr 2015", so Abdelfattah. Wisniewski, Letztautor des Artikels und derjenige, mit dem das ursprüngliche Experiment konzipiert wurde, ist Professor an der Virginia Tech und hat mit seiner langjährigen Obstforschung einen enormen wissenschaftlichen Beitrag geleistet.
In Graz wiederum ist es die Vision von Institutsleiterin Gabriele Berg und ihrem Team, dieses neue Wissen sowohl für die Pflanzengesundheit als auch für die des Menschen und unseres Planeten einzusetzen. Der Apfel ist somit nur ein Symbol, wie schon oft in der Geschichte der Menschheit.
Diese Studie ist im Field of Expertise „Human & Biotechnology“ verankert, einem von fünf strategischen Forschungsschwerpunkten der TU Graz. Die Arbeit wurde finaniziert durch Marie Skłodowska-Curie Actions (MSCA) im Rahmen von Horizon2020-EU.1.3.2 sowie von BARD, Israel-US Binational Agricultural Research and Development Fund.
Forschungspartner
- TU Graz | Institut für Umweltbiotechnologie, Graz, Österreich.
- Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB), Potsdam, Deutschland
- Universität Stockholm | Fakultät für Ökologie, Umwelt und Pflanzenwissenschaften, Stockholm, Schweden
- Chongqing University of Arts and Sciences | Chongqing Key Laboratory of Economic Plant Biotechnology, Chongquing, China
- Universität von Postdam | Institut für Biochemie und Biologie, Potsdam, Deutschland.
- United States Department of Agriculture - Agricultural Research Service, Appalachian Fruit Research Station, Kearneysville, USA
- The Volcani Institute | Department of Postharvest Science, Landwirtschaftliche Forschungsorganisation, Rishon LeZion, Israel
- Virginia Polytechnic Institute and State University | Abteilung für biologische Wissenschaften, Virginia, USA