News+Stories: Sie leiten seit Kurzem das neu gegründete „Institut für Biomedical Informatics“ an der TU Graz und forschen im Bereich der Genomik. Was ist das?
Mein Thema heißt eigentlich „funktionelle Genomik“ oder „regulatorische Genomik“ und hat mit dem Genom zu tun. Das Genom wird von den Eltern auf die Kinder vererbt. Es ist im Prinzip das, was uns bestimmt. Mendel hat sich bereits vor etwa hundertfünfzig Jahren mit Vererbung beschäftigt, allerdings bei Pflanzen. Er hat die Wirkung der Gene entdeckt, auch wenn er vom Genom nichts wusste. Die Gene sind Abschnitte im Genom, die von den Zellen entschlüsselt werden müssen, um Proteine zu bilden. Heute ist erforscht, dass sich verschiedene Spezies auf Ebene der Gene sehr ähnlich sind. Als Menschen denken wir, dass wir mit Mäusen oder Fliegen wenig zu tun haben, aber in Wahrheit unterscheiden sich unserer Gene wenig voneinander. Was den Unterschied macht, ist welche Gene wann aktiv sind und wie aktiv sie sind. Das ist es, was mich als Forscherin interessiert. Ich versuche, zu verstehen, durch welche Mechanismen Proteine entstehen und wie viele es davon in unserem Körper, in den Zellen, gibt.
Als Menschen denken wir, dass wir mit Mäusen oder Fliegen wenig zu tun haben, aber in Wahrheit unterscheiden sich unserer Gene wenig voneinander.
Wie kommt dabei die Informatik ins Spiel?
Leila Taher: Mit klassischer Informatik hat das wenig zu tun. Als Genomikerin untersuche ich die DNA. Sie ist ein ganz besonderes Molekül, zusammengesetzt aus Einheiten, die sich wiederholen. Man kann die DNA als Text lesen. Sie ist ein seltsamer Text, der aus 3.000 Millionen Buchstaben besteht – ein sehr langweiliger Text im Sinne des Alphabets, weil in ihm nur die vier Buchstaben A, C, G und T vorkommen. Das sind die Bausteine Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. In der Bioinformatik wollen wir den „DNA-Text“ lesen, wissen, was Abschnitte im Text bedeuten und was ihre Funktion für den Aufbau der Proteine ist. Und hier kommt die Informatik ins Spiel. Als Bioinformatikerin versuche ich, Muster im großen „DNA-Text“ zu erkennen. Wir benützen dafür die Methode der Artificial Intelligence (AI), haben sie schon längst benutzt, bevor irgendjemand davon gesprochen hat (lacht).
Als Bioinformatikerin versuche ich, Muster im großen „DNA-Text“ zu erkennen. Wir benützen dafür die Methode der Artificial Intelligence (AI), haben sie schon längst benutzt, bevor irgendjemand davon gesprochen hat.
Das heißt Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker suchen sich wiederholende Kombinationen in der Erbinformation?
Leila Taher: Ja, da die DNA aus nur vier „Buchstaben“ besteht, geht es um die Kombination und den Kontext. So entsteht dann die Bedeutung. Oft vergleichen wir Genome untereinander. Genome verschiedener Menschen unterscheiden sich wenig. Wenn ich aber davon ausgehe, dass viele Menschen, die krank werden, eine bestimmte Veränderung im Genom haben, die zur Krankheit führt, kann ich solche Stellen systematisch suchen. Das kann man wirklich nur mit einem Computer machen. Dazu vergleicht man Menschen – zum Beispiel Menschen, die gesund sind, mit Menschen, die alle eine bestimmte Krankheit haben, um den Unterschied zu finden. Allerdings gibt es normalerweise nicht nur einen Unterschied, es gibt viele Unterschiede – und die meisten davon bedeuten im Endeffekt nichts für die gesuchte Krankheit. Sie können keine oder eine völlig andere Bedeutung haben.
Sind Sie zur Bioinformatik gekommen, weil Sie Krankheiten erforschen wollten?
Leila Taher: Als ich angefangen habe zu studieren dachte ich Richtung Medizin, weil ich – wie viele junge Menschen – Krankheiten heilen wollte. Ich war aber für den Umgang mit Patientinnen und Patienten wohl zu introvertiert. Darüber hinaus: was mich wirklich interessiert, sind die Mechanismen, die hinter einer Krankheit stecken. Ärzte sind ausgebildet, um Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Mit den Mechanismen, wie Krankheiten entstehen, beschäftigen sich fast ausschließlich die Ärzte, die in der Forschung tätig sind. Auf Anraten meines Vaters, der Chemiker ist, begann ich daher nicht Medizin sondern Biotechnologie zu studieren. Dazu gehört natürlich Mathematik, Chemie, Physik, Biologie. Die Biologie war mir zu beschreibend, ich wollte eine Formel finden, die alles erklärt. Das ist im Prinzip das, was heute quantitative Biologie genannt wird, ein sehr mathematische Zugang. Damals gab es diese Richtung aber noch nicht und ich studierte parallel zur Biotechnologie Mathematik, bis zum Bachelorabschluss. Diese Mischung aus Biologie und Mathematik, das ist es für mich.
Diese Mischung aus Biologie und Mathematik, das ist es für mich.
So kamen Sie vom Berufswunsch Ärztin zur Bioinformatik. Was fasziniert Sie daran heute am meisten?
Leila Taher: Dass wir so wenig wissen, dass es so viele Herausforderungen gibt, so viele Fragen, die offen stehen. Ich will wissen. Natürlich ist die Forschung heutzutage viel weiter als vor etwa 20 Jahren, als das menschliche Genom entschlüsselt wurde. Trotzdem wissen wir eigentlich sehr wenig, auch wenn mittlerweile nicht nur ein Genom sequenziert, das heißt gelesen wurde, sondern Tausende von Genomen – von Menschen, aber auch von anderen Spezies. Aus Sicht der Bioinformatik ist das großartig, wir können sie nun vergleichen, um Unterschiede zu erkennen und zu verstehen.
Hat es in ihrer Karriere als Wissenschafterin eine Rolle gespielt, dass Sie eine Frau sind?
Leila Taher: (lacht) Nein. Meine Mutter ist Wissenschafterin. Für mich war das immer ganz normal. Während meines Studiums unterrichteten mich auch viele Professorinnen. Ich habe nie gedacht, dass das ein Problem sein könnte. Die meisten Frauen in Argentinien sind berufstätig. Wie zum Beispiel auch in Frankreich gehen die Kinder normalerweise in die Kinderkrippe. Als ich nach Deutschland kam, habe ich bemerkt, dass die Karriereplanung hier anders läuft. Viele Frauen bleiben länger bei den Kindern zu Hause. Das erschwert die Karriereplanung.
Was ist ein perfekter Tag für Sie?
Es ist ein schönes Gefühl, wenn ich etwas von meiner eigenen Begeisterung weitergeben kann. Auch dann spüre ich, dass ich etwas erreicht habe – das macht einen Tag zu einem perfekten Tag.
Leila Taher: Am liebsten arbeite ich den ganzen Tag an einem Projekt, was nicht so oft vorkommt, weil viele andere Dinge erledigt werden müssen. Es kann aber auch sehr befriedigend sein, wenn ich eine Lehrveranstaltung halte und die Studierenden engagiert und aktiv dabei gewesen sind. Es ist ein schönes Gefühl, wenn ich etwas von meiner eigenen Begeisterung weitergeben kann. Auch dann spüre ich, dass ich etwas erreicht habe – das macht einen Tag zu einem perfekten Tag.
Die Argentinierin Leila Taher studierte Biotechnologie und Mathematik an der Universidad Nacional del Litoral. Sie schloss ihr Doktorat im Fach Bioinformatik ab und dissertierte 2006 zum Thema computergestützte Vorhersage von Splice Sites im menschlichen Genom an der Universität Bielefeld, Deutschland. Danach arbeitete sie unter anderem als Postdoctoral Fellow in der Fundación Miguel Lillo/CONICET in Argentinien, als Visiting Fellow an den National Institutes of Health in den USA, und als Junior Research Group Leader der Gene Regulation Group an der Universitätsmedizin Rostock, Deutschland. Seit 2015 war Leila Taher als Juniorprofessorin in Bioinformatik am Department für Biologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg tätig. 2016 habilitierte sie sich für das Fach Medical Informatics und erhielt die Lehrbefugnis an der Universitätsmedizin in Rostock.