Bei der Untersuchung und Entwicklung von Materialien sind der Blick aufs ganz Kleine und aufs ganz Schnelle entscheidend. Die notwendige räumliche Auflösung für Untersuchungen im (sub-)atomaren Bereich ist mit elektronenmikroskopischen Methoden erreichbar. Schwierig ist es aber mit der Geschwindigkeit: Die schnellsten Prozesse in Festkörpern dauern nur wenige Femtosekunden (der billiardste Teil einer Sekunde). Dafür ist die Zeitauflösung herkömmlicher Elektronenmikroskope zu gering. Um die Zeitdauer der Elektronenpulse zu verbessern, müssten – in Analogie zum Kameraverschluss, der die Belichtungsdauer beim Fotografieren steuert – Elektronen innerhalb eines kürzeren Zeitfensters selektiert werden.
Diese zeitliche Selektion ist prinzipiell mit extrem kurzen Laserpulsen möglich. Das Verfahren nennt sich Laser-Assisted Electron Scattering (LAES, dt. Laserunterstützte Elektronenstreuung). Dabei können Elektronen während eines Stoßes mit Atomen der Materialprobe aus dem eingestrahlten Lichtfeld Energie aufnehmen. „Strukturinformationen liefern alle Elektronen – aber jene, die ein höheres Energieniveau aufweisen, können dem Zeitfenster zugeordnet werden, in dem der Lichtpuls eingestrahlt wurde. Mit dieser Methode ist es möglich, aus dem langen Elektronenpuls ein kurzes Zeitfenster herauszunehmen und damit die Zeitauflösung zu verbessern“, erklärt Markus Koch, Professor am Institut für Experimentalphysik der TU Graz. Bisher wurden LAES-Prozesse jedoch, obwohl seit rund 50 Jahren untersucht, nur in der Gasphase beobachtet.
Markus Koch und sein Team haben nun in Zusammenarbeit mit Forschenden des Instituts für Photonik der TU Wien und dem Institut für Chemie der Tokyo Metropolitan University erstmals demonstriert, dass die laserunterstützte Elektronenstreuung auch in kondensierter Materie, konkret in supraflüssigem Helium, beobachtet werden kann.
Supraflüssiges Helium als Erfolgsfaktor
Die TU Graz-Forschenden führten das Experiment in einem supraflüssigen Heliumtröpfchen mit nur wenigen Nanometern Durchmesser (3-30 nm) durch, in das sie einzelne Atome (Indium bzw. Xenon) oder Moleküle (Aceton) einbrachten, die als Elektronenquelle fungierten – eine am Institut bereits vielfach erprobte Technik. „Die freien Elektronen können sich im Tröpfchen hervorragend bewegen und nehmen im Lichtfeld mehr Energie auf, als sie durch Stöße mit den Heliumatomen abgeben“, so Leonhard Treiber, Doktorand bei Markus Koch und für die Arbeit verantwortlich. Diese Beschleunigung ermöglicht die Beobachtung von sehr viel schnelleren Elektronen.
Die Interpretation der Experimente gelang in Kooperation mit Markus Kitzler-Zeiler, einem Experten für Starkfeldprozesse der TU Wien. Zur Validierung des LAES-Effekts wurden die Wechselwirkungen vom Simulationsexperten der Tokyo Metropolitan University Reika Kanya unter den gleichen Bedingungen wie im Experiment simuliert. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden in Nature Communications publiziert.
In Zukunft soll der LAES-Prozess an dünnen Schichten verschiedener Materialien, die ebenfalls in Heliumtröpfchen hergestellt werden können, untersucht werden, um wichtige Parameter für solche Versuche zu ermitteln: etwa die optimale Schichtdicke oder die Intensität der Laserpulse für einen Einsatz in einem Elektronenmikroskop.
Dieses Forschungsprojekt wurde durch ein FWF-Projekt gefördert und ist im Field of Expertise „Advanced Materials Science“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz. Beteiligte Forschende sind Mitglieder von NAWI Graz Physics.